Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
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193 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />
sur und Disziplinarmaßnahmen gegen kritische Professoren, freigeistige Schriftsteller und Journalisten<br />
waren üblich. Der Philosoph Johann Gottlieb Fichte wurde 1799 aus seinem Amt an der Universität<br />
Jena entlassen, nachdem er wegen Atheismus angeklagt worden war.<br />
Das römische Heilige Offizium (Glaubenskongregation) hat von 1571 bis zur Abschaffung im<br />
Jahr 1967 durch Papst Paul VI. ca. 6.000 Titel auf den Index Librorum Prohibitorum gesetzt. Feierliche<br />
öffentliche Bücherverbrennungen in Rom sind z.B. hinsichtlich der Irrlehre Martin Luthers bekannt.<br />
Als häretisch, d.h. gegen den katholischen Glauben gerichtet, wurden bedeutende philosophische<br />
Werke bewertet. Das Urteil traf Leitfiguren der Philosophie Europas: Giordano Bruno, Thomas<br />
Hobbes, René Descartes, Francis Bacon, Baruch de Spinoza, John Locke, David Hume, Jean-Jacques<br />
Rousseau, Blaise Pascal, Immanuel Kant, Voltaire, John Stuart Mill, Henri Bergson, Jean-Paul Sartre.<br />
Andere Bücher waren nicht genannt, da ihre Autoren von vornherein als Atheisten bekannt waren, z.B.<br />
Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche, weil sie nicht offiziell angezeigt wurden oder weil sie,<br />
wie Isaac Newton oder Charles Darwin, keinen direkten Bezug auf das Dogma herstellten. Eine Elite<br />
europäischer Denker stand auf dem Index verbotener Bücher.<br />
Konflikte mit der Kirchenautorität<br />
Neuere Beispiele für theologische Auseinandersetzungen mit der römisch-katholischen Autorität geben<br />
Theologen wie Michael Bongardt, Eugen Drewermann, Herbert Haag, Gotthold Hasenhüttl, Hans<br />
Küng, Uta Ranke-Heinemann. Der bekannte Theologe Karl Rahner und andere Professoren erhielten<br />
strenge Abmahnungen, ohne dass es zum Bruch kam. Die praktizierte Überwachung der katholischen<br />
Theologen und die geheimen Verfahren hat Hans Küng in seiner Autobiographie geschildert. Die übliche<br />
Praxis der „Notifikationen“ verpflichtet die Theologen, die beanstandeten Aussagen künftig zu<br />
unterlassen.<br />
Dem evangelischen Theologen Gerd Lüdemann wurde an der Universität Göttingen das Prüfungsrecht<br />
für angehende Pfarrer und Religionslehrer entzogen. Aufgrund historisch-kritischer Forschung<br />
lehrte er u.a.: von den Jesus-Worten in der Bibel sind nur 15 Prozent authentisch, die Evangelien<br />
stammen nicht von Jüngern oder Zeitzeugen (kein Autor kannte Jesus), der wichtige zweite Paulus-Brief<br />
stammt nicht von Paulus. 7 Auch in den Evangelischen Landeskirchen gibt es sogenannte<br />
Lehrbeanstandungs- oder Lehrzuchtverfahren, die zum Entzug der Ordination bzw. zum Berufsverbot<br />
führen können. Dies geschah mit der württembergischen Pfarrerin Jutta Voss, die in einem Buch gegen<br />
den patriarchalischen Geist der offiziellen Glaubenslehre protestierte und eigenwillige feministische<br />
Konzepte äußerte. Ein zweites Beispiel ist der Hamburger Pastor Paul Schulz. Dieser habe seine<br />
Religion zu stark an ein naturwissenschaftliches Denken angepasst. Die Kommission rügte u.a.,<br />
Schulz stelle Gott als – wie auch immer zu denkendes – Gegenüber des Menschen in Abrede, damit<br />
sei ein Transzendieren der Wirklichkeit unmöglich. Er begreife Jesus ausschließlich als moralisches<br />
Vorbild für ein Leben nach dem „Prinzip Liebe“, wobei sich in Jesus keine neue Wirklichkeit, sondern<br />
nur die Bestätigung schon vorhandener menschlicher Möglichkeiten ereigne. Der Tod sei für Schulz<br />
etwas Endgültiges. In der Kirche sehe er eine Institution zur Verwirklichung des Prinzips Liebe, aber<br />
die Gegenwart Christi in der Kirche werde dabei negiert.<br />
Ketzerei und Inquisition, Hexenverfolgung<br />
Um das Jahr 1000 verbreiteten sich die von der römischen Autorität abweichenden Glaubensrichtungen,<br />
die häretischen Sekten u.a. der Albigenser, die in mehreren Kreuzzügen weitgehend vernichtet<br />
wurden. Die Inquisitionsverfahren, die nun dem Papst unterstellt wurden, nahmen zu und die Folter<br />
zur Wahrheitsfindung wurde anerkannt, allerdings sollten nur die staatlichen Instanzen foltern und<br />
hinrichten („Die Kirche vergießt kein Blut“).<br />
Über Dämonenglauben und Hexenverfolgung ist inzwischen viel geschrieben worden. Im Neuen<br />
Testament und im Christentum der folgenden Jahrhunderte bis zum Weltkatechismus ist der Glauben<br />
an Dämonen durchgehend vorhanden. Der einflussreichste Kirchenlehrer des Mittelalters, der heilige<br />
Thomas von Aquin (gest. 1274) bestätigte die Existenz von Dämonen und Hexen und behauptete, dass<br />
Menschen einen Pakt mit ihnen schließen könnten. Martin Luthers legendärer Kampf mit dem teuflischen<br />
Versucher ist bekannt; Luther glaubte auch, dass sich der Teufel mit Frauen geschlechtlich vereinigen<br />
könne. Sogar der große Arzt Paracelsus und nicht wenige der sog. Humanisten teilten den<br />
zeitgenössischen Glauben an die reale Existenz von Dämonen und Hexen und riefen zu deren Verfol-