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Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

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136 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

Ä die spezifischen Überzeugungen, d.h. Glaubenssätze und religiöse Traditionen, und Formen, d.h.<br />

kultische Handlungen, Rituale und Praktiken, Kultgegenstände, Idole, Devotionalien u.a.;<br />

Ä die Ausbildung einer rituell praktizierenden Gemeinschaft;<br />

Ä den Glauben an eine Zukunftsbewältigung, Überwindung von Leiden und endlicher Existenz;<br />

Ä die Erwartung der Gläubigen, früher oder später eine Art Kompensation für ihre religiöse Haltung<br />

gewährt zu bekommen. 4<br />

Erneut ist es sehr fraglich, ob alle Merkmale auf die Überzeugungen des Theravada-Buddhismus zutreffen.<br />

Der gelegentlich empfohlene Ausweg ist, diese altertümliche Richtung des Buddhismus nicht<br />

als Religion, sondern als Philosophie zu klassifizieren – was angesichts Zehntausender von Mönchen<br />

seltsam erscheinen muss. Die universalen Definitionsversuche von Religion klingen auch dann sehr<br />

abstrakt, wenn versucht wird, zwischen Religionen, philosophischen Positionen, ideologischen Systemen<br />

und Psychosekten zu unterscheiden. Noch schwieriger wird es – auf jedem Feld – zwischen Religion<br />

und Volksreligion, zwischen wahrem (echtem) Glauben und „Aberglauben“ abzugrenzen. – Vielleicht<br />

muss eine blass wirkende Umschreibung ausreichen, wie es Küng versucht. Er versteht unter<br />

Religion: die „bestimmte soziale Verwirklichung einer Beziehung zu einem absoluten Sinn-Grund, zu<br />

einem allerletzten Anliegen, zu etwas, was mich unbedingt angeht.“ 5<br />

Im Kontrast zu diesen verschiedenen Bestimmungen der Religion würden Atheisten und Religionskritiker<br />

die vom Menschen geschaffene Vorstellung eines allmächtigen Gottes, Vaters oder Lehrers<br />

betonen wollen: die Menschen gestalten die Götter nach ihren eigenen Vorstellungen (Xenophanes im<br />

5. Jahrh. v.u.Z.), sind Spiegelungen des Menschen (Feuerbach) und Projektionen (Freud), also psychologische<br />

Konstruktionen des Menschen auf der Suche nach einer Gesamterklärung der Welt und nach<br />

einem Sinn des eigenen Lebens.<br />

Gott, Religiosität und Spiritualität<br />

Gott ist der Name für das Absolute, Vollkommene, Heilige, den Urgrund der Welt, Schöpfer des<br />

Himmels und der Erde, Anfang und Ende, Inbegriff der Liebe und Barmherzigkeit, Trost, Halt, Sicherheit,<br />

Hilfe im Alltag, Fügung, Gebetserhörung, Gnade, Vergebung, göttliche Vorsehung, Heil,<br />

ewiges Leben nach dem Tode, Erlösung. Dazu gehören auch Gottesfurcht, Gebote und Verbote,<br />

Schuld, Versündigungsangst, Furcht vor dem Bösen, Untergang, ewige Verdammnis und Gottesferne.<br />

Gott, der uns geschaffen hat, der uns annimmt und sagt, was wir tun sollen, wie wir ethisch handeln<br />

und die Not und das Böse überwinden. Er wendet sich dem einzelnen Menschen zu und wird sich dieser<br />

Person erinnern. Gott ist unbegreiflich und ist doch im Menschen sichtbar und im Glauben gegenwärtig.<br />

Diese Namen und Wirkungen Gottes repräsentieren einige der wesentlichen Facetten des Gottesbildes.<br />

Aus dem christlichem Glauben wären solche Aufzählungen fundamental zu ergänzen durch die<br />

Existenz Jesu Christi als Sohn Gottes, als Mittler zwischen Gott und Mensch, durch Jesu Leiden und<br />

Auferstehung, durch sein Vorbild. Der christliche Gott wendet sich dem Menschen zu, offenbart sich<br />

und ermöglicht eine wechselseitige Beziehung – wie eine Begegnung zwischen Personen. Im Hören<br />

auf Gottes Wort und vor allem im Gebet wird das Person-Sein Gottes konkret erfahren. Er ist keine<br />

abstrakte, unpersönliche, höhere Macht und kein unbestimmtes höheres Wesen.<br />

Auch die 99 Namen Allahs beziehen sich auf die Schöpfermacht und die Barmherzigkeit Gottes,<br />

auf die Macht und Souveränität Allahs, seine Person und seine sittlichen Eigenschaften als gerechter<br />

und vergeltender Richter. Aus Sicht der jüdischen Religion und des erwählten Volkes sind wiederum<br />

andere Facetten wesentlich. Dagegen tritt im polytheistischen Hinduismus ein viel breiteres Spektrum<br />

von Gottesbildern hervor und grundverschieden ist die chinesische Vorstellung der obersten Macht<br />

und der Harmonieforderung des Himmels Tien.<br />

Gott ist transzendent, übersteigt die erfahrbare Welt. Gott ist der Ganz-Andere. „Alles, was wir<br />

über Gott sagen können, ist, dass wir nichts über ihn sagen können“, heißt es in der mittelalterlichen<br />

Theologie. Wenn also gefragt wird „Glauben Sie an Gott?“ werden sich verschiedene Gottesvorstellungen<br />

herausstellen. Zumindest drei Positionen sind zu unterscheiden, wenn solche Umfragen unternommen<br />

werden: der Theismus, der Glaube an einen persönlichen Gott, der die Welt erschaffen hat,<br />

dem Menschen gegenüber steht, gebietet, eingreift und erlöst; der Deismus, nach dem Gott eine unper-

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