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Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

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70 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

chen Reproduktionserfolgs der Gene bzw. der Art. Dieser Reproduktionserfolg hängt bei den höheren<br />

Arten wie beim homo sapiens sapiens von weiteren Bedingungen ab, z.B. von der Rivalität (intrasexuellen<br />

Selektion) und von der Attraktion (intersexuellen Selektion).<br />

Soziobiologie<br />

In der Soziobiologie werden die biologischen Grundlagen des Sozialverhaltens von Tieren und Menschen<br />

untersucht. Über die nur vergleichende Verhaltensforschung hinaus werden heute Erklärungen<br />

gesucht, wie solche arttypischen Verhaltensmuster entstanden sind und weitervererbt werden. Dabei<br />

werden die Konzepte der Genetik mit dem modernen Darwinismus kombiniert. Auch menschliches<br />

Verhalten – soweit es eine genetische Grundlage hat – unterliegt einer natürlichen Auswahl und kann<br />

mit Hilfe der Evolutionstheorie erklärt werden. Wenn bestimmte Verhaltensweisen quer durch verschiedene<br />

Gesellschaften und Kulturen übereinstimmen, deutet dies auf gemeinsam zugrunde liegende<br />

genetische Faktoren hin. Die Soziobiologie greift weit aus und betrachtet auch Eigenschaften und<br />

Verhaltensweisen der Menschen, die bisher keineswegs als biologisch-genetisch bestimmt angesehen<br />

wurden. 5<br />

Auf breites Interesse und grundsätzliche Zweifel stießen die Behauptungen über die genetischen<br />

Grundlagen des aggressiven und des altruistischen Verhaltens. Die natürliche Auslese von sekundären<br />

Geschlechtsunterschieden und von Geschlechterrollen gehört zu diesem Thema, ebenso die Auseinandersetzung,<br />

wie viele angeborene Dispositionen bei der Ausbildung der Sprache mitspielen. Unmittelbar<br />

einleuchtend ist die biologisch bestimmte Natur vieler menschlicher Bedürfnisse und Emotionen.<br />

Schon Darwin hatte bei anderen Primaten Lächeln, Grüßen, Spielen, oder Ausdrucksformen der Emotionen<br />

Wut und Furcht beschrieben. Deutlich sind Entsprechungen in der engen Mutter-Kind-<br />

Beziehung, Neugierverhalten und Neigung zu Fremdenfurcht bei den Kindern, das männliche Dominanzmuster,<br />

Revierverteidigung und vieles andere. Doch den Altruismus des Menschen darwinistisch<br />

zu erklären, erregte Anstoß.<br />

Bei vielen Arten ist zu beobachten, dass die Individuen aus dem sozialen Zusammenleben und<br />

der Kooperation wechselseitig Vorzüge hinsichtlich Nahrung und Schutz gewinnen. Das „gib mir,<br />

dann gebe ich dir“ wird als reziproker Altruismus bezeichnet. Unter bestimmten Bedingungen opfern<br />

sich Individuen für andere Artgenossen, insbesondere für die eng verwandten. Dieses Verhalten widerspricht<br />

zwar dem Prinzip der Selbsterhaltung, ist jedoch – genetisch betrachtet – durchaus egoistisch.<br />

Je näher zwei Individuen miteinander verwandt sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie Träger<br />

gleicher Gene sind. Nicht unbedingt das Individuum, sondern das Überleben der Verwandten ist<br />

maßgeblich, weil es auch die Verbreitung der eigenen Gene fördert.<br />

Unter dieser Perspektive dient das Verhalten des Menschen generell dem genetischen Vorteil,<br />

und das Leben wirkt wie eine immerwährende Gewinn- und Verlustrechnung. Die soziobiologische<br />

Interpretation des altruistischen Verhaltens ist das bekannteste Beispiel für das Vordringen biologischer<br />

Erklärungsversuche in die Bereiche der Psychologie, der Sozialwissenschaft und sogar der<br />

Ethik. Aus diesem Anspruch sind viele Kontroversen entstanden, gelegentlich noch verstärkt durch<br />

Polemik gegen die „alten sozialwissenschaftlichen Irrtümer“, allein Erziehung und Umwelt wären für<br />

das Verhalten des Menschen verantwortlich.<br />

Dem Anspruch der Soziobiologen ist entgegen zuhalten, dass die Begriffe Egoismus und Altruismus<br />

missverständlich sind, wenn sie auf der elementaren Ebene der Gene gebraucht werden. Gewöhnlich<br />

wird unter Egoismus eine ausschließlich am eigenen Vorteil orientierte Haltung des Individuums<br />

im Sinne eines elementaren Selbsterhaltungs-Motivs verstanden. Altruismus ist das potenziell<br />

selbst-schädigende Verhalten zum Wohle eines anderen, wobei eine freie und bewusste Wertentscheidung<br />

vorausgesetzt wird. Die soziobiologische Deutung ist also sehr eng und kann keineswegs ausschließen,<br />

dass altruistisches Verhalten vor allem kulturell durch Erziehung und Vorbild vermittelt<br />

wird.<br />

Verhaltensgenetik und Anlage-Umwelt-Problem<br />

Die Humangenetik und das Anlage-Umwelt-Problem haben sowohl die Biologie und die Medizin<br />

beschäftigt als auch die Psychologie. Zeigen nicht Stammbäume, z.B. der Musiker-Familie Bach, oder<br />

die großen Verhaltensähnlichkeiten eineiiger Zwillinge, dass Begabungen und Temperamentseigenschaften<br />

vererbt werden? Wie groß sind die Anteile der Erbfaktoren und der Umweltfaktoren bei den

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