Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
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66 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />
anderen Status haben nur jene Gebiete, die engen Bezug zu objektiven Verhaltensbeobachtungen und<br />
physiologischen Messungen haben, z.B. in der Forschung über Wahrnehmung, elementares Reaktionsverhalten<br />
und Psychomotorik. Je mehr es sich um die Selbstbeurteilungen statt um Verhaltensexperimente<br />
handelt, desto größeren Einfluss werden die eigenen Überzeugungen des Untersuchers nehmen.<br />
In welchem theoretischen Bezugsrahmen und mit welchen wissenschaftstheoretischen und philosophischen<br />
Vorentscheidungen geschieht die Interpretation?<br />
Über die Wissenschaftlichkeit der Psychologie ist viel gestritten worden. Ein überdauerndes Dilemma<br />
im Methodenpluralismus der Psychologie ergibt sich aus der geisteswissenschaftlichen und der<br />
naturwissenschaftlichen Tradition, denn das „interpretative Paradigma“ und das „experimentelle Paradigma“<br />
oder das „Labor“ und der „Alltag“ scheinen auf den ersten Blick unvereinbar zu sein. In der<br />
Forschung werden sie tatsächlich fast nie miteinander kombiniert, obwohl das benötigte methodische<br />
Wissen durchaus vorhanden ist. Solche sich wechselseitig ergänzenden Vorgehensweisen enthalten<br />
mehr Chancen, zu besser gesicherten und damit auch überzeugenderen Ergebnissen zu führen. Natürlich<br />
ist dieser Weg arbeitsaufwendiger und erfordert mehr methodische Kompetenzen. Wie in anderen<br />
Erfahrungswissenschaften wäre es wichtig, zunächst empirische Sachverhalte einigermaßen gut zu<br />
etablieren, d.h. sehr viel nachdrücklicher an einer Übereinstimmung zwischen verschiedenen Forschergruppen<br />
und an methodischer Konvergenz zu arbeiten, als es gegenwärtig üblich ist. Dass es in<br />
der Fachwelt häufig noch als verdienstvoller erscheint, neue spekulative Entwürfe zu diskutieren,<br />
kennzeichnet den vorläufigen Stand in vielen Teilbereichen.<br />
Das Fach Psychologie an den Universitäten entstand vor etwa 130 Jahren, indem für einige traditionelle<br />
philosophische Themen empirische Untersuchungsmethoden eingeführt wurden. Über die<br />
erhoffte bessere Menschenkenntnis hinaus wurden auch andere praktische Ziele, d.h. Anwendungen<br />
u.a. in der Erziehung, Schule, Arbeitswelt, Therapie angestrebt. Die experimentelle Psychologie ist<br />
jedoch bis heute nur eine unter mehreren Richtungen der wissenschaftlichen Psychologie und gerade<br />
in Anwendungsfeldern keineswegs typisch. Den Unterschied zur Philosophie bildet jedoch die im<br />
weitesten Sinn empirische Haltung. Andererseits gibt es auch heute noch Philosophen, die sich zu<br />
Themen der Psychologie äußern, ohne überhaupt Kenntnis von der psychologischen Empirie zu nehmen.<br />
In ähnlicher Weise besteht eine breite Tendenz, philosophische Grundfragen aus der universitären<br />
und der praktischen Psychologie auszuklammern. Dass solche Abgrenzungen nur oberflächlich<br />
möglich sind, muss immer wieder hervorgehoben werden. Volker Gadenne und Harald Walach haben<br />
die wesentlichen Themen dieser Philosophie der Psychologie dargestellt. 14 Weder in der Ideen- und<br />
Problemgeschichte noch in der Wissenschaftstheorie der Psychologie, ihren <strong>Menschenbilder</strong>n und<br />
theoretischen Konzeptionen ist eine Abtrennung von philosophischen Vorentscheidungen möglich.<br />
Der Mensch – aus Sicht der empirischen Psychologie<br />
Die empirische Psychologie kann keine einheitliche wissenschaftliche Antwort der Art geben, „was<br />
der Mensch ist“, sondern nur Mosaiksteinchen aus der Forschung beisteuern. Aus methodischen<br />
Gründen haben diese Beiträge offenkundige Grenzen. Viele der interessantesten Fragen sind auf empirische<br />
Weise überhaupt nicht zu beantworten, zu anderen Fragen gehen die Antworten noch weit auseinander.<br />
Es handelt sich um einen außerordentlich mühseligen Klärungsprozess: Welche Annahmen<br />
können überhaupt zu wissenschaftlich prüfbaren Hypothesen entwickelt werden? Welche Überzeugungskraft<br />
kann den Selbstbeurteilungen im Unterschied zu den Verhaltensbeobachtungen zugebilligt<br />
werden?<br />
Die grundlegenden Überzeugungen, Werte und Sinnfragen liegen nicht völlig außerhalb der<br />
Reichweite psychologischer Forschung. Es ist jedoch eine andere Ebene, auf der nicht mehr nach dem<br />
tatsächlichen Zutreffen gefragt wird, sondern nach den subjektiven Auffassungen. Ist es nicht wissenswert,<br />
was die Menschen zu diesen Grundfragen meinen, und wie diese Annahmen sich zu einem<br />
Muster bzw. zu einem Teil ihres Menschenbildes zusammenfügen und mit anderen Eigenschaften und<br />
Verhaltensweisen zusammenhängen?<br />
Die von Sozialwissenschaftlern durchgeführten repräsentativen Umfragen enthalten gelegentlich<br />
Fragen nach dem Sinn des Lebens, Glaubensfragen und Religiosität, also nicht nur über politische<br />
Einstellungen, Sozialindikatoren, Lebensqualität, Konsum, Arbeit und Gesundheit. Informationen über<br />
solche Einstellungen und deren Veränderungen liefert u.a. der World Value Survey, der sich regelmäßig<br />
auf viele Länder erstreckt. 15 In der Psychologie existieren spezielle Untersuchungen, u.a. über