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Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

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28 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

Den Destruktionstrieb zu leugnen, bedeute ein pastorales „positive thinking“, statt der Einsicht<br />

stand zu halten, dass unsere zerstörungswütigen Kräfte mit Sonntagsreden allein nicht in den Griff zu<br />

bekommen sind.<br />

Menschenbild<br />

Fromm beschreibt den fundamentalen Widerspruch: Der Mensch ist Teil der Natur, transzendiert aber<br />

die Natur in Kultur, Sprache und Symbolbildung. Die existenziellen Bedürfnisse des Menschen erläutert<br />

er in verschiedenen Zusammenhängen, vor allem hebt er hervor: das Bedürfnis nach Bezogenheit,<br />

nach Transzendenz, nach Verwurzelung, nach Identität, nach einem Rahmen der Orientierung und<br />

nach einem Objekt der Hingabe, z.B. etwas bewirken zu wollen.<br />

„Ich glaube nicht, daß man die menschliche Natur mit einer bestimmten Eigenschaft positiv definieren<br />

könnte, wie etwa mit Liebe, Haß, Vernunft, dem Guten oder dem Bösen, sondern nur mit den fundamentalen<br />

Widersprüchen, die die menschliche Existenz charakterisieren und die letztlich auf die biologische<br />

Dichotomie zwischen den fehlenden Instinkten und dem Bewußtsein seiner selbst zurückzuführen<br />

sind. Der Konflikt im Menschen erzeugt bestimmte psychische Bedürfnisse, die allen Menschen<br />

gemeinsam sind. Er ist gezwungen, das Entsetzen vor seiner Isoliertheit, seiner Machtlosigkeit und<br />

seiner Verlorenheit zu überwinden und neue Formen des Bezogenseins zur Welt zu finden, durch die<br />

er sich in ihr zu Hause fühlen kann. Ich habe diese psychischen Bedürfnisse als ‚existenzielle Bedürfnisse’<br />

bezeichnet, weil sie auf die Bedingungen der menschlichen Existenz selbst zurückzuführen sind.<br />

Sie werden von allen Menschen geteilt, und ihre Erfüllung ist für die Erhaltung der seelischen Gesundheit<br />

ebenso notwendig, wie die Befriedigung seiner organischen Triebe notwendig ist, um den<br />

Menschen am Leben zu erhalten. Aber jedes dieser existenziellen Bedürfnisse kann auf verschiedene<br />

Weise befriedigt werden. Verschiedenheiten, die jeweils von seiner sozialen Lage abhängen. Diese<br />

unterschiedliche Art, die existenziellen Bedürfnisse zu befriedigen, manifestiert sich in Leidenschaften<br />

wie Liebe, Zärtlichkeit, Streben nach Gerechtigkeit, Unabhängigkeit und Wahrheit; in Haß, Sadismus,<br />

Masochismus, Destruktivität und Narzißmus.“ 10<br />

In seinen späteren Büchern setzt sich Fromm sehr kritisch mit der modernen Gesellschaftsentwicklung<br />

auseinander. Er sieht einen fundamentalen Wandel in der Wertorientierung der meisten Menschen.<br />

Außerdem diagnostiziert er einen tiefgehenden Bruch, weil die Menschen erkannt hätten, dass die<br />

großen Verheißungen des Industriezeitalters ausbleiben. Der verbreitete Fortschrittsglauben sei nicht<br />

zu erfüllen:<br />

„... immer mehr Menschen werden sich folgender Tatsachen bewußt:<br />

– daß Glück und größtmögliches Vergnügen nicht aus der uneingeschränkten Befriedigung aller<br />

Wünsche resultieren und nicht zu Wohl-Sein führen;<br />

– daß der Traum, unabhängige Herren über unser Leben zu sein, mit unserer Erkenntnis endete,<br />

daß wir alle zu Rädern in der bürokratischen Maschine geworden sind;<br />

– daß unsere Gedanken, Gefühle und unser Geschmack durch den Industrie- und Staatsapparat<br />

manipuliert werden, der die Massenmedien beherrscht;<br />

– daß der wachsende wirtschaftliche Fortschritt auf die reichen Nationen beschränkt blieb und der<br />

Abstand zwischen ihnen und den armen Nationen immer größer geworden ist;<br />

– daß der technische Fortschritt sowohl ökologische Gefahren als auch die Gefahr eines Atomkrieges<br />

mit sich brachte, die jede für sich oder beide zusammen jeglicher Zivilisation und vielleicht<br />

sogar jedem Leben ein Ende bereiten können“. (Haben oder Sein, 2003) 11<br />

Nach Fromm haben Menschen die Wahl zwischen dem aktiven Geben und Ausschöpfen des eigenen<br />

Potenzials oder dem überwiegenden Empfangen, Nehmen, Horten und Vermarkten der Waren unseres<br />

Gesellschaftssystems. Mit dem Begriffspaar Haben und Sein beschreibt er zwei fundamentale Wertorientierungen.<br />

„Diese Überlegungen lassen den Schluß zu, daß beide Tendenzen im Menschen vorhanden sind: die<br />

eine, zu haben, zu besitzen, eine Kraft, die letztlich ihre Stärke dem biologisch gegebenen Wunsch

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