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Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

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122 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

Bei Hans Küng äußerst sich ein starkes Interesse, dem Nirvana eine positive Bestimmung, als Zufluchtsort<br />

und Platz unangreifbarer Sicherheit, als Absolutes zu geben. 12 Er stützt sich dabei auf die<br />

neueren Mahayana-Strömungen, welche z.T. ein dem Paradies ähnliches Jenseits lehren. Dass er als<br />

katholischer Theologe anstrebt, Entsprechungen hervorzuheben, ist sicher verständlich, doch kann es<br />

zu Grenzüberschreitungen kommen, wenn Gegensätze umgedeutet oder andere Positionen vereinnahmt<br />

werden. Aus christlicher Sicht bereiten das Nirvana als Ende allen Leidens und aller Personalität<br />

sowie die Abwesenheit eines Gottes die größten Schwierigkeiten. Dementsprechend bemüht sich<br />

Küng, nach positiven Aspekten des Nirvana zu suchen und das Nirvana dem Himmel der Christen<br />

anzunähern. Er gibt sich nicht mit Buddhas Lehre, die hier ausdrücklich alle begrifflichen Denkmuster<br />

zurückweist, zufrieden. In ähnlicher Weise deutet er den buddhistischen Atheismus um, indem er Argumente<br />

aus dem späteren Mahayana-Buddhismus, d.h. tibetischen und japanischen Strömungen verwendet.<br />

Auf diese Weise werden in den ursprünglichen Theravada-Buddhismus theologische Analogien<br />

zum Christentum projiziert. Küngs Interpretationen sind hier aus seinem vorgefassten Glauben zu<br />

verstehen und aus seinem erklärten religiösen Überlegenheitsgefühl, bleiben jedoch anfechtbar, denn<br />

nur wenige seiner Leser werden diese Umdeutungen überprüfen können.<br />

Haben Buddhismus und Psychoanalyse durch Selbstaufklärung des Menschen zum Ende der Illusion<br />

über eine beständige Ich-Person (und unsterbliche Geistseele) geführt? Viele werden dies grundsätzlich<br />

bestreiten, andere könnten diskutieren, ob das buddhistische oder das christliche Menschenbild<br />

eher vereinbar sind mit zwei grundlegenden Auffassungen: erstens den egoistischen Genen mit<br />

ihrem unendlichen Replikationsdrang und zweitens der neurobiologischen Forschung zur Prozesshaftigkeit<br />

der Hirnfunktionen ohne Evidenz für ein unveränderliches Ich (Selbst).<br />

Aus dem ursprünglichen Buddhismus, dem „Weg der Älteren“ (Theravada) haben sich vom 4. Jahrhundert<br />

unserer Zeitrechnung an die Richtungen des nördlichen Mahayana-Buddhismus, das „große<br />

Fahrzeug“, abgespalten. Dazu gehören der tantrische Buddhismus mit seiner komplizierten esoterischen<br />

und magischen Lehre, der tibetische Buddhismus mit seinen verschiedenen Sekten, in China die<br />

auf den Gelehrten Bodhidharma zurückgehende Meditationsbewegung. Aus dem chinesischen Buddhismus<br />

entwickelte sich später die abstrakte und esoterische Meditationslehre des Ch'an, aus dem japanische<br />

Mönche die Grundideen des Zen übernahmen. Es entstanden die verschiedenen Schulen des<br />

Zen-Buddhismus mit dem Sichversenken in „Leerheit“, angeleitet durch einen Meister, und die Meditation<br />

über Koans, d.h. auf Anti-Logik ausgerichtete, paradoxe Lehrsätze. Auch in den Zen-Schulen,<br />

wie dem verbreiteten Rinzai-Zen, gibt es keinen Gott, keinen Namen für Transzendenz, nur völlige<br />

Leere und die Befreiung zum Erwachen bzw. zur Einsicht, dass da nichts ist. Anschauung dieser Art<br />

vermittelt u.a. Myokyo-ni (Irmgard Schloegl), nach Training in Japan die Leiterin eines englischen<br />

Zen-Klosters. 13<br />

In Westeuropa und in den USA existieren heute zahlreiche buddhistische Organisationen und<br />

auch Klöster, die von der Theravada-Richtung, d.h. von Sri Lanka (Ceylon), Thailand und Myanmar<br />

(Burma) ausgehen, oder aus der japanischen Tradition des Zen-Buddhismus stammen. Die lange Tradition<br />

der Achtsamkeits-Meditation ist inzwischen in den psychotherapeutischen Praxen und Institutionen<br />

des Westens verbreitet, wenn auch oft mit abgewandelten Zielen, indem weniger die Leidensauflösung<br />

und das Erlöschen, sondern eher Entspannung wie beim Autogenen Training, Ausgeglichenheit,<br />

Befreiung von negative Gefühlen usw. angestrebt werden.<br />

In neuerer Zeit hat auch die Richtung des tibetischen Buddhismus vielerorts durch die emigrierten<br />

Tibeter und durch den charismatischen Dalai Lama aus der Gelupga-Schule breiteres Interesse<br />

gefunden. Der Dalai Lama, der ursprünglich nur die Anhänger des tibetischen Buddhismus (ca. 5 %<br />

der auf 380 Millionen geschätzten Buddhisten) repräsentierte, hat heute in vielen Ländern der Welt<br />

Millionen von Anhängern, und seine Bücher füllen die Regale der Buchhandlungen. Wahrscheinlich<br />

waren auch die Veranstalter des christlichen ökumenischen Kirchentags in Berlin im Jahr 2003 zwiespältig<br />

beeindruckt, als sich 15.000 Teilnehmer von diesem Buddhisten tief beeindruckt zeigten. Einer<br />

Umfrage zufolge hält jeder dritte Deutsche den Dalai Lama für den weisesten Menschen der Gegenwart,<br />

und nach einer anderen Umfrage des SPIEGEL im Jahr 2007 sehen mehr Befragte in ihm ein<br />

menschliches Vorbild als sich für Papst Benedikt XVI. aussprechen. Zugleich gilt der Buddhismus als<br />

die friedlichere Religion. Der Friedens-Nobelpreisträger lehrt konsequent Gewaltlosigkeit und Toleranz<br />

gegenüber anderen Religionen. Mitgefühl und Ethik sind die zentralen Themen des Menschenbil-

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