Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
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120 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />
Nicht-Ich gesehen wird, können Missverständnisse vermieden werden. Deshalb darf Nibbana auch<br />
nicht als Vernichtung einer Persönlichkeit oder als ewiger glücklicher Dauerzustand, als bewusstseinslose<br />
Wonne, in die ein Ich eingeht, gedeutet werden. (Nyanatiloka, 1976) 7 Das Rad steht still. Mehr<br />
nicht.<br />
Achtsamkeit (Sattipatthana)<br />
Achtsamkeit bedeutet entspannte Aufmerksamkeit, „gewahr sein“ im Prozess der Meditation. Die zur<br />
Perfektion entwickelten Achtsamkeitsübungen sollen grundsätzlich jedem Menschen die Selbstanalyse<br />
möglich machen, es wird keine besondere Ausbildung, kein Priester oder Vermittler, kein Guru, benötigt.<br />
Statt sich passiv dem oft umherwandernden Bewusstsein und dem ablenkenden Gedankenstrom<br />
hinzugeben, soll sich der Meditierende mit Hilfe der regelmäßigen Atmung konzentrieren. In den Begriffen<br />
der heutigen Psychologie beruht diese vorbildliche Methodik der Selbstanalyse teils auf genauen<br />
Beobachtungen des eigenen Körpers und teils auf Reflexion der Lebensentwicklung (Geburt, Familie,<br />
Krankheit, Tod). Ermöglicht wird dies durch eine tief reichende und sich selbst noch weiter schulende<br />
Introspektion. Diese bereits damals extrem differenziert ausgearbeitete Unterscheidung zahlreicher<br />
psychologischer Funktionen leitet systematisch durch die einzelnen Prozessinhalte des Bewusstseins.<br />
Die Kombination von (erinnerten) Beobachtungen in der äußeren Welt mit der introspektiven<br />
Analyse der Innerlichkeit ist wirksamer als die Binnensicht allein. Meditation bedeutet nicht einen<br />
dämmernden Zustand mit abgesenktem Bewusstseinsniveau, hypnotische oder autosuggestive Trance,<br />
sondern gedankenklare Auseinandersetzung mit Sinneserfahrungen, mit Vorstellungen und mit eigenen<br />
Motiven und Triebwünschen. Es soll eine schonungslose Selbstanalyse sein, um die eigenen<br />
Denkmuster und deren Leerheit zu durchschauen und als Nicht-Ich zu begreifen.<br />
Praxis und Ethik der Buddha-Lehre<br />
Die buddhistischen Gläubigen bilden eine Gemeinschaft, die ihre Zuflucht nehmen zu den „drei Juwelen“:<br />
zu Buddha als Lehrer, zum Dhamma, als Lehre der Selbstbefreiung und zum Sangha, dem Orden<br />
der Mönche. In der Praxis und Ethik der Buddha-Lehre sind viele weitere Züge des Menschenbildes<br />
deutlich. Außer der Achtsamkeits-Übung als Selbstanalyse, Vorurteile und Illusionen zu durchschauen,<br />
gehören dazu praktisch Güte (Metta), Mitleid mit allen fühlenden Wesen (Karuna), Mitfreude<br />
(Mudita) und Gleichmut (Upekkha). „Es wird ja Feindschaft nimmermehr durch Feindschaft wieder<br />
ausgesöhnt: Nichtfeindschaft gibt Versöhnung an; das ist Gesetz von Ewigkeit.“ (Dhammapadam) 8 In<br />
der buddhistischen Ethik scheint meist das Nicht-Eingreifen (nicht mit gehorsamer Unterwerfung unter<br />
die Machthaber zu verwechseln), das Lassen des gier- und hasserfüllten Tuns, die liebende Güte,<br />
höher zu stehen als das aktive Engagement. Die fünf Sittenregeln (Silas) für die Laienanhänger sind:<br />
1. Abstehen vom Töten, 2. vom Stehlen, 3. von ungesetzlichem Geschlechtsverkehr, 4. von Lüge und<br />
5. vom Genuss berauschender Getränke. Bei den Mönchen und bei den Nonnen, die bereits zu Buddhas<br />
Zeiten einen Orden bilden konnten, kommen weitere Sittenregeln hinzu.<br />
Aus christlicher Sicht könnte das buddhistische Mitleid mit allen fühlenden Wesen vielleicht als<br />
ein relativ abstraktes Prinzip im Unterschied zu der auf christlicher Nächstenliebe aufbauenden Sozialethik<br />
(Caritas) angesehen werden. Als weithin vorbildlich gelten die spirituelle Praxis, die Toleranz,<br />
Gewaltlosigkeit und Tötungsverbot. Angesichts der geringen Neigung zu Religionskriegen dürfen aber<br />
die Ausnahmen nicht übersehen werden, d.h. religiös motivierte Aufstände in Tibet und Begleiterscheinungen<br />
des gegenwärtigen Bürgerkriegs auf Sri Lanka.<br />
Ausblick<br />
Buddhismus ist eine Weltreligion, die den westlichen Theologen und Religionswissenschaftlern definitorische<br />
Probleme bereitet hat. Die Idee eines allmächtigen Gottes und Weltschöpfers gibt es in der<br />
Buddha-Lehre nicht und damit entfällt die Rückverbindung des Menschen an einen Schöpfergott.<br />
Aber Buddha war – soweit sich das aus den überlieferten Schriften sagen lässt – kein Agnostiker, denn<br />
er sah in der Lehre von der bedingten Entstehung des Lebensprozesses und in der Erkenntnis des<br />
Nicht-Ich grundlegende Wahrheiten. Im Unterschied zum Christentum und seiner Idee der Fremderlösung<br />
leitet der Buddhismus zur Selbsterlösung an. „Ihr selber müsst euch eifrig mühen. Der Buddha<br />
weist euch nur den Weg“. (Dhammapadam) 9 Es gibt keinen offiziellen Vermittler, sondern nur einen