30.12.2012 Aufrufe

Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

12 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

bestehende geistige Pluralismus folgt aus den allgemeinen Menschenrechten der Religions- und Meinungsfreiheit.<br />

Die Aufklärung des Menschen über seine Abhängigkeiten und die Entstehung des Pluralismus<br />

gehören offensichtlich zusammen und führen zwangsläufig zu der Frage: Wie sollen wir uns im Einklang<br />

mit diesen Einsichten verhalten und moralisch handeln? Wie sind die möglichen Konsequenzen<br />

eines uferlosen Pluralismus durch eine qualifizierte Toleranz und ethische Normen zu begrenzen, ohne<br />

erneut Dogmen und Denkverbote aufzurichten und wieder soziale Zwänge zu schaffen, aus denen die<br />

Aufklärung uns befreien sollte?<br />

Ethik<br />

Die in den ersten Kapiteln zitierten Psychotherapeuten haben sich alle zu Grundfragen der Ethik geäußert.<br />

Dabei waren Freud, Fromm, Skinner keine gottgläubigen Menschen. Nach fester Überzeugung<br />

der christlichen Kirchen und vieler christlicher Politiker können Atheisten keine den Gottgläubigen<br />

vergleichbare Moral haben, denn sie stellen sich ja willentlich außerhalb der Gebote und Verbote (und<br />

der Liebe) Gottes. Der Moral der Atheisten und der Agnostiker muss ohne diesen Gehorsam die überzeugende<br />

und letzte Begründung fehlen, so dass nur eine egoistische oder eine wertlose nihilistische<br />

Moral übrig bliebe.<br />

Wie kann es dann sein, dass diese atheistischen Psychotherapeuten Wesentliches und Vorbildhaftes<br />

zur Ethik zu sagen haben? Sind die buddhistischen Mönche in ihren gelbroten Gewändern nicht für<br />

viele ein Sinnbild der bescheidenen, stillen und verinnerlichten Lebensweise, der Toleranz und des<br />

Mitleids mit allen fühlenden Wesen? Aber auch bei ihnen fehlt ein allmächtiger und gütiger Gott als<br />

höchste Instanz der Moral und als letzte Begründung von Geboten und Verboten. Es gibt nur den<br />

Menschen und vorbildlichen Lehrer Gotama Buddha. – Wie kann es also eine hohe Moral geben, völlig<br />

ohne Gott? Auch dies ist eine der Fragen, die sich durch das Buch ziehen.<br />

Unter dem Eindruck der Weltkriege und des Völkermords im 20. Jahrhundert wurden die Vereinten<br />

Nationen gegründet. Auch die entstehende Weltbürgerlichkeit verlangt, dass rechtliche, politische<br />

und ethische Konventionen geschaffen werden. Dazu gehören vor allem die Charta der Vereinten Nationen<br />

und die Erklärung der Menschenrechte sowie neue Deklarationen zum Weltethos und zu den<br />

Menschenpflichten. Inzwischen gibt es zwar noch keinen Weltfrieden, aber – wie schon Kant und<br />

Zeitgenossen hofften – Internationale Gerichtshöfe.<br />

Menschenwürde und Menschenrechte<br />

Können ethische Normen so verbindlich begründet werden, dass sie nicht einfach wie ein beliebiges<br />

Gesetz außer Kraft zu setzen sind? Diese Frage ist um so dringender, als in den säkularisierten westlichen<br />

Ländern immer weniger Menschen an die absolute Verankerung in Gott als der höchsten moralischen<br />

Instanz glauben. Außerdem werden die Angehörigen anderer Weltreligionen kaum unter die<br />

Gottesvorstellung des Christentums einzuordnen sein, und die Zustimmung der vielen Nicht-<br />

Religiösen muss erreicht werden.<br />

Die Erklärung der universalen Menschenrechte enthält keine theologische Begründung, sondern<br />

appelliert an die unveräußerliche Menschenwürde als Grundlage der unverzichtbaren Menschenrechte.<br />

Aber reicht der Begriff der Menschenwürde als letzte Begründung aus oder kann die letzte und absolute<br />

Begründung nur in Gott gefunden werden? Aber diese Forderung passt nicht zu der Erinnerung,<br />

dass die zivilen und politischen Freiheitsrechte den Kirchen und der Obrigkeit erst im Prozess der<br />

europäischen Aufklärung abgerungen werden mussten. Die tragende Idee der Menschenwürde kann<br />

überzeugend auch auf andere Weise begründet werden, indem die Autonomie und Willensfreiheit des<br />

Menschen ins Zentrum gestellt werden. Dazu gehört die Toleranz – Toleranz begrenzt durch die Menschenrechte<br />

der Anderen. Als Beispiele werden mehrere aktuelle, religiös bestimmte Wertkonflikte in<br />

Deutschland und die Haltung zum Aberglauben und zu den neuen religiösen Gemeinschaften und Psychogruppen<br />

dienen.<br />

Erweiterung der Perspektiven<br />

In dem Jahrhundert seit Freud hat das Wissen über die sozialen Bedingungen und über die biologische<br />

Natur des Menschen extrem zugenommen. In den meisten westlichen Ländern verloren die Kirchen<br />

viele ihrer Mitglieder und gleichzeitig entwickelten sich neue Formen von Religiosität und Spirituali-

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!