Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
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12 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />
bestehende geistige Pluralismus folgt aus den allgemeinen Menschenrechten der Religions- und Meinungsfreiheit.<br />
Die Aufklärung des Menschen über seine Abhängigkeiten und die Entstehung des Pluralismus<br />
gehören offensichtlich zusammen und führen zwangsläufig zu der Frage: Wie sollen wir uns im Einklang<br />
mit diesen Einsichten verhalten und moralisch handeln? Wie sind die möglichen Konsequenzen<br />
eines uferlosen Pluralismus durch eine qualifizierte Toleranz und ethische Normen zu begrenzen, ohne<br />
erneut Dogmen und Denkverbote aufzurichten und wieder soziale Zwänge zu schaffen, aus denen die<br />
Aufklärung uns befreien sollte?<br />
Ethik<br />
Die in den ersten Kapiteln zitierten Psychotherapeuten haben sich alle zu Grundfragen der Ethik geäußert.<br />
Dabei waren Freud, Fromm, Skinner keine gottgläubigen Menschen. Nach fester Überzeugung<br />
der christlichen Kirchen und vieler christlicher Politiker können Atheisten keine den Gottgläubigen<br />
vergleichbare Moral haben, denn sie stellen sich ja willentlich außerhalb der Gebote und Verbote (und<br />
der Liebe) Gottes. Der Moral der Atheisten und der Agnostiker muss ohne diesen Gehorsam die überzeugende<br />
und letzte Begründung fehlen, so dass nur eine egoistische oder eine wertlose nihilistische<br />
Moral übrig bliebe.<br />
Wie kann es dann sein, dass diese atheistischen Psychotherapeuten Wesentliches und Vorbildhaftes<br />
zur Ethik zu sagen haben? Sind die buddhistischen Mönche in ihren gelbroten Gewändern nicht für<br />
viele ein Sinnbild der bescheidenen, stillen und verinnerlichten Lebensweise, der Toleranz und des<br />
Mitleids mit allen fühlenden Wesen? Aber auch bei ihnen fehlt ein allmächtiger und gütiger Gott als<br />
höchste Instanz der Moral und als letzte Begründung von Geboten und Verboten. Es gibt nur den<br />
Menschen und vorbildlichen Lehrer Gotama Buddha. – Wie kann es also eine hohe Moral geben, völlig<br />
ohne Gott? Auch dies ist eine der Fragen, die sich durch das Buch ziehen.<br />
Unter dem Eindruck der Weltkriege und des Völkermords im 20. Jahrhundert wurden die Vereinten<br />
Nationen gegründet. Auch die entstehende Weltbürgerlichkeit verlangt, dass rechtliche, politische<br />
und ethische Konventionen geschaffen werden. Dazu gehören vor allem die Charta der Vereinten Nationen<br />
und die Erklärung der Menschenrechte sowie neue Deklarationen zum Weltethos und zu den<br />
Menschenpflichten. Inzwischen gibt es zwar noch keinen Weltfrieden, aber – wie schon Kant und<br />
Zeitgenossen hofften – Internationale Gerichtshöfe.<br />
Menschenwürde und Menschenrechte<br />
Können ethische Normen so verbindlich begründet werden, dass sie nicht einfach wie ein beliebiges<br />
Gesetz außer Kraft zu setzen sind? Diese Frage ist um so dringender, als in den säkularisierten westlichen<br />
Ländern immer weniger Menschen an die absolute Verankerung in Gott als der höchsten moralischen<br />
Instanz glauben. Außerdem werden die Angehörigen anderer Weltreligionen kaum unter die<br />
Gottesvorstellung des Christentums einzuordnen sein, und die Zustimmung der vielen Nicht-<br />
Religiösen muss erreicht werden.<br />
Die Erklärung der universalen Menschenrechte enthält keine theologische Begründung, sondern<br />
appelliert an die unveräußerliche Menschenwürde als Grundlage der unverzichtbaren Menschenrechte.<br />
Aber reicht der Begriff der Menschenwürde als letzte Begründung aus oder kann die letzte und absolute<br />
Begründung nur in Gott gefunden werden? Aber diese Forderung passt nicht zu der Erinnerung,<br />
dass die zivilen und politischen Freiheitsrechte den Kirchen und der Obrigkeit erst im Prozess der<br />
europäischen Aufklärung abgerungen werden mussten. Die tragende Idee der Menschenwürde kann<br />
überzeugend auch auf andere Weise begründet werden, indem die Autonomie und Willensfreiheit des<br />
Menschen ins Zentrum gestellt werden. Dazu gehört die Toleranz – Toleranz begrenzt durch die Menschenrechte<br />
der Anderen. Als Beispiele werden mehrere aktuelle, religiös bestimmte Wertkonflikte in<br />
Deutschland und die Haltung zum Aberglauben und zu den neuen religiösen Gemeinschaften und Psychogruppen<br />
dienen.<br />
Erweiterung der Perspektiven<br />
In dem Jahrhundert seit Freud hat das Wissen über die sozialen Bedingungen und über die biologische<br />
Natur des Menschen extrem zugenommen. In den meisten westlichen Ländern verloren die Kirchen<br />
viele ihrer Mitglieder und gleichzeitig entwickelten sich neue Formen von Religiosität und Spirituali-