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Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

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73 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

Der Mensch aus Sicht der Evolutionsbiologie<br />

„Es gibt keinerlei objektive Grundlage, die es uns erlauben würde, eine Art höher als die andere einzuschätzen.<br />

Schimpanse und Mensch, Eidechse und Pilz, alle haben sich in einem Zeitraum von etwa<br />

drei Milliarden Jahren in einem Prozess entwickelt, den man die natürliche Auslese nennt, und innerhalb<br />

jeder Spezies hinterlassen einige Individuen mehr überlebende Nachkommen als andere, so dass<br />

die Erbmerkmale (Gene) derer, die sich erfolgreich reproduzieren, in der nächsten Generation zahlreicher<br />

werden.“ (Trivers, Geleitwort zu Dawkins, 1978). 8<br />

Offensichtlich sind alle existierenden Arten vom Einzeller bis zum Menschen hervorragend an ihre<br />

Umwelt angepasst, sonst hätten sie nicht überlebt. Die erfolgreiche Anpassung ist nur ein Aspekt.<br />

Beim Vergleich des biologischen Entwicklungsstandes fallen u.a. auf: die Flexibilität der Anpassung<br />

an verschiedene Umgebungen, die relative Ausbreitung und Dynamik der Populationen, die systemische<br />

Entwicklungshöhe der Morphologie und Biochemie, die Absicherung der Lebensfunktionen<br />

durch vielfältige Regelkreise (Homöostase), das Spektrum sensorischer, motorischer und intelligenter<br />

Leistungen und das allgemeine Repertoire von Verhaltensweisen, gesteuert durch ein lernendes Gehirn.<br />

„An Versuchen, den Menschen zu definieren und über eine Sinndeutung dem menschlichen Leben<br />

Inhalte zu vermitteln, hat es nie gemangelt. Priester, Künstler und Denker bemühen sich seit Jahrtausenden<br />

darum. Dem religiösen Offenbarungswissen stehen die Versuche gegenüber, das Wesen des<br />

Menschen durch Beobachtung und Introspektion, aufgrund von Erfahrungen also und mit Hilfe der<br />

Vernunft, zu erkunden. Mit der Abstammungslehre setzte die Biologie neue Akzente. Sie erschütterte<br />

unser anthropozentrisches Weltbild. Durch die Einbettung in den Gesamtzusammenhang eines Evolutionsgeschehens<br />

wurde sich der Mensch nicht allein seines tierischen Erbes bewusst, sondern auch der<br />

Tatsache seiner Unfertigkeit.“<br />

„War nun der Mensch für die einen eine Tierart unter vielen, ein ‚nackter Affe’, wie es Desmond<br />

Morris bewusst provokativ formulierte, so meinten andere in Kontrastbetonung, der Mensch habe sich<br />

in seiner Evolution so weit über das Tier erhoben, dass er nichts mehr mit ihm teile, ja, durch seine<br />

Kultivierung habe er sich der biologischen Evolution entzogen. Der Mensch sei daher frei, sein Leben<br />

vernünftig zu gestalten, ohne irgendwelche Einschränkungen und Festlegungen.“ (Eibl-Eibesfeldt, Die<br />

Biologie des menschlichen Verhaltens, 1995). 9<br />

Darwin hat erstmals eine Evolutionstheorie entwickelt, die auf der Abstammung von gemeinsamen<br />

Vorfahren und dem Grundprinzip der Anpassung durch natürliche Auslese in kleinen Schritten beruht.<br />

Diese Theorie verknüpft den Zufall der Mutation mit der Notwendigkeit und kausalen Bestimmtheit<br />

der Anpassung. Damit wurde in der Biologie das alte philosophische Prinzip der Zweckursachen überflüssig.<br />

Es gibt hier keine zweckgerichteten Kräfte, die auf ein bestimmtes Endergebnis hinwirken.<br />

Gott als Schöpfer des Menschen ist nicht mehr denknotwendig, doch bleibt es unbenommen – wie<br />

Darwin – weiterhin an einen Gott zu glauben. Mit der Abstammungslehre verlor der Mensch seine<br />

Einzigartigkeit unter den Lebewesen, obwohl er alle anderen Arten durch entwickelte Sprache, Kultur<br />

und Ethik weit übertrifft.<br />

Abstammung<br />

Die Art der Schimpansen (Pan troglodytes und die Unterart Bonobo Pan paniscus) und der Mensch<br />

(homo sapiens sapiens) trennten sich vor ca. 4 bis 5 Millionen Jahren. Neuere Funde sprechen dafür,<br />

dass es in der Folgezeit mehrere ähnliche Parallelentwicklungen innerhalb der Frühmenschen gab.<br />

Dabei haben sich erste Formen des modernen Menschen vielleicht schon vor ca. 200.000 Jahren in<br />

Afrika abgespalten. Nur geringe Zweifel bestehen, dass der neuzeitliche Mensch mit der heutigen<br />

Anatomie aus Afrika stammt (out-of-Africa-Theorie) und nach Europa und Asien wanderte; in einer<br />

ersten Welle vor 80.000 bis 100.000 Jahren, dann in einer zweiten Welle vor ca. 40.000 bis 60.000<br />

Jahren in Südostasien, Zentralasien und in Westeuropa angekommen ist und sich in ca. 3.000 Generationen<br />

über die ganze Welt ausgebreitet hat. Die Abstammungsgeschichte des Menschen birgt noch<br />

viele Lücken; die Datierungen wurden oft umgestoßen oder angesichts anderer Funde neu interpretiert.<br />

So wird neuerdings davor gewarnt, die Kultur der Neandertaler zu unterschätzen: Sie verfügten über

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