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Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

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166 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

Die Gründungsurkunde der Vereinten Nationen enthält den Begriff „Menschenwürde“ zum ersten Mal<br />

in einem internationalen Vertrag. Die Präambel spricht von:<br />

„... unserem Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Person.“<br />

Etwas ausführlicher heißt es 1948 in der Erklärung der universalen Menschenrechte:<br />

„Da die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und<br />

ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des<br />

Friedens in der Welt bildet ... „ (Präambel) und „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und<br />

Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit<br />

begegnen.“ (Artikel 1). 3<br />

Diese Erklärung knüpft an Prinzipien der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte der französischen<br />

Nationalversammlung (1789) sowie der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung (1776) an<br />

und steht in Zusammenhang mit der europäischen Philosophie der Aufklärung, die neben der Glaubensfreiheit<br />

auch andere bürgerliche Rechte einforderte. Als herausragende Autoren gelten u.a. Eleanor<br />

Roosevelt, der libanesische Philosoph Charles Malik, der französische Jurist René Cassin und der<br />

chinesische Philosoph Peng-chun Chang.<br />

Erstaunlicherweise wurden die Begriffe Unantastbarkeit (sancticity) und höchster Wert (ultimate<br />

value) der menschlichen Person von dem südafrikanischen Ministerpräsidenten Jan Smuts in die Beratungen<br />

der Gründungskonferenz 1950 eingebracht. Smuts soll sich nach einem abgebrochenen Theologiestudium<br />

in besonderer Weise den Idealen der Humanität verpflichtet gefühlt haben – soweit ihm<br />

dies mit seinem rassischen Vorverständnis im Apartheid-Regime vereinbar war. Im späteren Text<br />

waren die Wörter Würde und Wert (dignity and worth) für die Kommission anscheinend ein stilistisch<br />

unterstreichender Doppelbegriff. Die Formulierung, dass der Mensch mit Gewissen ausgestattet sei,<br />

geht auf den Vorschlag des Chinesen Chang zurück und ist eine englische Übersetzung des ursprünglichen<br />

Begriffs „Zwei-Mensch-Neigung“ bzw. „Bewusstsein des Mitmenschen (Mitgefühl)“. Die<br />

Kommission und die Unterzeichner der Charta beschrieben und bestätigten eine „tief im Bewusstsein<br />

der Menschen verankerte Überzeugung“ und verzichteten auf eine nähere Definition oder eine ausdrückliche<br />

theologische Begründung bzw. Legitimation durch Gott (wie es z.B. die Vertretung Brasiliens<br />

beantragte). 4<br />

Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland<br />

Im Grundgesetz steht:<br />

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller<br />

staatlichen Gewalt.<br />

(2) Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten<br />

als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.<br />

Damals gab es kein gemeinsames Vorverständnis: „Die christlich-konservative Fraktion sah die Menschenwürde<br />

in der Freiheit zum Gehorsam gegen die Gebote gegeben, die im Zweifel der kirchlichen<br />

Interpretation unterliegen und nach dem traditionellen Verständnis regelmäßig mit den staatlichen<br />

Geboten übereinstimmen; die sozialdemokratisch-liberale Fraktion sah die Menschenwürde in erster<br />

Linie in dem Recht der Selbstverantwortung und freien Entfaltung des Individuums, dessen Grenzen<br />

nur die gleichen Rechte des anderen sein können, nicht aber ein höheres göttliches oder staatliches<br />

Gebot.“ 5 Jedoch enthält die Präambel des Grundgesetzes den vermittelnden Satz: „Im Bewusstsein<br />

seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes<br />

Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft<br />

seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“ Ähnlich steht es in den Verfassungen<br />

von Bundesländern. In diesem Zusammenhang wird oft der Verfassungsrichter Wolfgang Böckenförde<br />

zitiert: „Der freiheitliche demokratische Rechtsstaat ist auf Voraussetzungen angewiesen, die er<br />

nicht selbst hervorzubringen vermag“.<br />

Die Menschenwürde ist der oberste Wert des Grundgesetzes. Die Menschenwürde kann niemandem<br />

genommen werden. Dieser Wert- und Achtungsanspruch ist unabhängig von Eigenschaften der

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