Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
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25 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />
3 In den Widersprüchen von biologischen Trieben und geistiger<br />
Freiheit, als sozialer Charakter geformt (Erich Fromm)<br />
Erich Fromm gehört der Generation der auf Freud folgenden Psychoanalytiker an. Er nimmt Grundgedanken<br />
Freuds auf und verbindet sie mit anderen Ideen. Fromm betont – stärker als Freud – die gesellschaftlichen<br />
Bedingungen, d.h. die sozialen Einflüsse der Familie auf die individuelle Entwicklung<br />
und die zugrunde liegenden gesellschaftlichen Strukturen. Er sieht hier Gesetzmäßigkeiten, die eigenständig<br />
neben der biologischen Evolution gelten und diese überformen. Freud hätte den Menschen zu<br />
individualistisch gesehen und nicht in der Bezogenheit auf andere Menschen.<br />
In dem von Freud entworfenen Menschenbild vermisst Fromm zwei wesentliche Züge. Er behauptet,<br />
dass alle Menschen ein fundamentales Bedürfnis nach Freiheit und nach Gerechtigkeit haben.<br />
Wenn beide vorenthalten werden, führt dies zu negativen Reaktionen und Leiden, zu bleibenden psychischen<br />
Veränderungen und schließlich zu Gewalt und zu Katastrophen.<br />
Fromm gilt als der Begründer der psychoanalytisch orientierten Sozialpsychologie. Er fragt, wie<br />
sich die wirtschaftlichen, die psychologischen und ideologischen Faktoren wechselseitig beeinflussen.<br />
Welche Schlussfolgerungen sind für das Verständnis der Gegenwart und Zukunft der Menschen zu<br />
ziehen? Diese Sozialpsychologie ist gesellschaftskritisch eingestellt und strebt einen sozialistischen<br />
Humanismus an.<br />
Fromms Programm geht weit über eine abstrakte Gesellschaftsphilosophie hinaus. Er will erkennen,<br />
„wie die Ideologien aus dem Zusammenwirken von seelischem Triebapparat und sozialökonomischen<br />
Bedingungen entstehen“. Er unternimmt im Vorkriegs-Deutschland die erste sozialwissenschaftliche<br />
Untersuchung über den autoritären Charakter und analysiert später die extremen Formen<br />
menschlicher Destruktivität psycho-biographisch an den Beispielen Hitler und Himmler. Mit seinen<br />
letzten Werken engagiert er sich in der sozialpsychologischen Analyse der modernen, geldorientierten<br />
Konsumgesellschaft. Fromm arbeitet an einem Programm gesellschaftlicher Reformen, das einen<br />
grundlegenden psychologischen Einstellungswandel des Einzelnen verlangt. Durch seine Bücher erreicht<br />
er eine weite Verbreitung seiner Ideen. Einige seiner Einsichten, so hebt er hervor, stimmen mit<br />
dem Menschenbild des Buddhismus überein.<br />
Grundzüge<br />
Wie Fromm auf Freuds Pionierarbeiten aufbaut und die soziologische Perspektive wesentlich erweitert,<br />
wird aus den folgenden Zitaten deutlich:<br />
„Die menschliche Natur ist weder eine biologisch von vornherein festgelegte, angeborene Summe von<br />
Trieben, noch ist sie der leblose Schatten kultureller Muster, denen sie sich reibungslos anpasst. Sie<br />
ist vielmehr das Produkt der menschlichen Entwicklung, doch besitzt sie auch ihre eigenen Mechanismen<br />
und Gesetzmäßigkeiten. Es gibt in der menschlichen Natur gewisse Faktoren, die festgelegt und<br />
unveränderlich sind: die Notwendigkeit, die physiologisch bedingten Triebe zu befriedigen, und die<br />
Notwendigkeit, Isolierung und seelische Vereinsamung zu vermeiden.“ (Die Furcht vor der Freiheit,<br />
1941) 1<br />
„Die wichtigste [Eigenschaft] scheint mir die Tendenz zu sein zu wachsen, sich zu entwickeln<br />
und die Möglichkeiten zu realisieren, die der Mensch im Laufe seiner Geschichte entwickelt hat – wie<br />
zum Beispiel die Fähigkeit zum schöpferischen und kritischen Denken und zum Erleben differenzierter<br />
emotionaler und sinnlicher Erfahrungen. Alle diese Möglichkeiten haben ihre eigene Dynamik. Nachdem<br />
sie sich einmal im Evolutionsprozeß entwickelt haben, streben sie danach, sich irgendwie auszudrücken.<br />
Diese Tendenz kann unterdrückt und frustriert werden, aber eine derartige Unterdrückung<br />
führt zu neuen Reaktionen, besonders zur Ausbildung destruktiver und symbiotischer Impulse. Es<br />
scheint auch so zu sein, daß diese allgemeine Tendenz zu wachsen – die das psychologische Äquivalent<br />
zu der entsprechenden biologischen Tendenz ist – zu spezifischen Tendenzen führt, wie etwa der<br />
Sehnsucht nach Freiheit und dem Haß gegen Unterdrückung, da die Freiheit die Grundbedingung für<br />
jedes Wachstum ist. Diese Sehnsucht nach Freiheit kann zwar verdrängt werden und aus dem Bewußt-