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Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

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196 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

sehen werden soll. Die z.T. extremen Formen der Neu-Interpretation der biblischen Offenbarung und<br />

des traditionellen Glaubensbekenntnisses haben die fundamentalistischen Bewegungen innerhalb und<br />

außerhalb der offiziellen Kirche gefördert, am geschriebenen Wort festzuhalten und nichts hinzuzutun.<br />

Zu den moralisch besonders anstößigen Kapiteln im Alten Testament gehören die Geschichte von<br />

Abraham und Isaak und das gewollte Leiden Hiobs sowie die zahlreichen und wechselseitigen Massaker<br />

unter benachbarten Völkern bzw. Andersgläubigen. Diese haben eine besondere Qualität, denn<br />

nach dem Alten Testament handelt es sich nicht um eine abstrakte Vereinnahmung Gottes (wie für die<br />

kriegführenden Nationen im Ersten Weltkrieg). Vielmehr wird Gott immer wieder als der dargestellt,<br />

der Massen-Tötungen ganzer Volksstämme direkt angeordnet hat, bis ins letzte Glied von Mensch und<br />

Tier, „nichts was atmet, blieb übrig“ (z.B. Josua, 8, 1-29 und 11, 11). Einige Verse besagen, dass Gott<br />

selbst diese Vernichtungen aktiv durchführt (mehrere Beispiele in Mose 5). Diese dunklen Stellen des<br />

Alten Testaments können exegetisch vielleicht anders gedeutet werden, doch zumindest für den einfachen<br />

Leser, der die Offenbarung wörtlich nehmen könnte (und soll), müssen diese Taten erschreckend<br />

sein. Sie konzentrieren sich vor allem im 5. Buch Mose und im Buch Josua, aber es findet sich auch in<br />

einigen Psalmen die z.T. „enthusiastische Bejahung der Gewalt“. Der Religionspsychologe Franz<br />

Buggle sammelte und kommentierte außerdem Passagen aus den Evangelien, den Briefen des Apostels<br />

Paulus sowie der Offenbarung des Johannes und schilderte die gehäuften Strafphantasien, die grausame<br />

Einstellung zu abweichendem und sündigen Verhalten, das große Gewicht des Teufels- und Dämonenglaubens.<br />

Demnach spricht Jesus in den vier Evangelien insgesamt 70 Höllendrohungen aus.<br />

Auch die biblischen Themen der Destruktivität sind „heilig und kanonisch“ – sie werden allerdings<br />

sehr selten zitiert und üblicherweise aus den „Kinderbibeln“ entfernt. Franz Buggle nannte deswegen<br />

sein Buch, in dem er solche Bibelstellen interpretierte, Denn Sie wissen nicht, was sie glauben.<br />

Oder warum man redlicherweise nicht mehr Christ sein kann. 14 Der Theologe Gerd Lüdemann hat<br />

ebenfalls zahlreiche Schlüsselstellen zitiert, Das Unheilige in der Heiligen Schrift, und sich dafür eingesetzt,<br />

nicht alle Peinlichkeiten zu übergehen oder zu verharmlosen. Die Bergpredigt im Neuen Testament<br />

gilt als ethischer Kern des Christentums, weil sie zur Nächstenliebe und Gewaltlosigkeit aufruft.<br />

Dem scheinen andere Aussagen Jesu zu widersprechen:<br />

„Ihr sollt nicht meinen, daß ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen,<br />

Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien<br />

mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter.<br />

Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein. Wer Vater oder Mutter mehr<br />

liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner<br />

nicht wert. Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert.<br />

Wer sein Leben findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's<br />

finden“. (Lutherbibel 1984, Matthäus, 10, 34-38)<br />

„Und er sprach zu ihnen: Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur. Wer da<br />

glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden. Die<br />

Zeichen aber, die folgen werden denen, die da glauben, sind diese: in meinem Namen werden sie böse<br />

Geister austreiben, in neuen Zungen reden, Schlangen mit den Händen hochheben, und wenn sie etwas<br />

Tödliches trinken, wird's ihnen nicht schaden; auf Kranke werden sie die Hände legen, so wird's<br />

besser mit ihnen werden“. (Markus 16, 15-18)<br />

Der Einwand, dass hier Zitate aus dem Zusammenhang gerissen werden und aufgrund der textkritischen<br />

Bibelwissenschaft vielleicht anders zu lesen sind, ändert kaum etwas an der drastischen psychologischen<br />

Wirkung für den unbefangenen Hörer dieser wörtlichen Botschaft. In der religionspsychologischen<br />

Kritik wird festgestellt, dass die biblischen Texte, aus heutiger Sicht, einige Aussagen enthalten,<br />

die die psychische Integrität und psychosoziale Entwicklung von sensiblen Menschen stören können.<br />

Solche Beispiele sind in der Klinischen Psychologie unter dem Begriff der ekklesiogenen Neurosen,<br />

d.h. der durch Glaubens- und Kirchenkonflikte verursachten Persönlichkeitsstörungen, beschrieben<br />

worden. Die Bibel sei deshalb als ethische und pädagogische Grundlage, trotz vieler Auslegungsversuche,<br />

sehr fragwürdig. 15

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