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Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

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197 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

Buggle diagnostiziert insbesondere für die akademische Psychologie ein weitgehendes Forschungs-<br />

und Theoriedefizit, sogar eine Tabuisierung bestimmter religiöser Themen. Dazu gehören<br />

das Schweigen zu hochproblematischen Erziehungsinhalten, sofern sie von den etablierten Kirchen<br />

ausgehen, die Induktion extremer Strafängste und die Abspaltung der inhumanen Inhalte der traditionellen<br />

christlichen Lehre. In seiner Kritik an der religiösen Szene im deutschen Raum charakterisiert<br />

er namentlich typische Reaktionsmuster deutscher Intellektueller und Hochschullehrer, die seines<br />

Erachtens nicht intellektuell redlich mit den inhumanen Anteilen der Bibel umgehen. Diese Autoren<br />

sind aus seiner Sicht einer idealisierenden Interpretation der Bibel verhaftet und würden die ethischen<br />

Probleme herunterspielen statt das Aufklärungspotential der Wissenschaft zu nutzen. Ergänzend berichtet<br />

Buggle über die von ihm erlebten Mechanismen der Selbstzensur in den Medien und über die<br />

Interventionen, die zur Absage einer bereits geplanten Fernsehsendung über sein Buch führten.<br />

Schuldanerkenntnis der römisch-katholischen Kirche<br />

Papst Johannes XXIII. und das Zweite Vatikanische Konzil haben in den 1960er Jahren jeder Gewalt<br />

und jedem Zwang in Glaubenssachen abgesagt, und die Konzilserklärung Nostra aetate verurteilte<br />

jeden Antisemitismus. Papst Johannes Paul II. erneuerte das Schuldbekenntnis gegenüber dem Volk<br />

der Juden im Jahr 2000 und gestand kirchliche Verfehlungen im Zusammenhang mit Glaubenskriegen,<br />

Judenverfolgungen und Inquisition ein. Bei seinem Besuch in Jerusalem bat er stellvertretend für die<br />

ganze Kirche um Vergebung für alles, was katholische Christen den Juden angetan haben. Aber es gab<br />

auch Empörung über diesen Papst, weil er 2005 in seiner Biographie Erinnerung und Identität die<br />

Judenmorde moralisch in die Nähe der Schwangerschaftsunterbrechungen rückte.<br />

Wohl als erster Papst betrat Johannes Paul II. eine Synagoge und eine Moschee und setzte damit,<br />

wie auch mit den interreligiösen Friedensgebeten, neue Zeichen. Bei dem Schuldbekenntnis blieb<br />

recht unklar, in wie weit es sich auf die unzähligen anderen Gewalttaten im Namen der Kirche bezieht.<br />

Hinzu kommt von konservativer theologischer Seite die Deutung, dass solche Untaten oder das Totschweigen<br />

der NS-Vernichtungslager ja „nur“ von einzelnen Mitgliedern der Kirche, von einzelnen<br />

Priestern oder Päpsten zu verantworten wären, nicht von der heiligen katholischen Kirche an sich.<br />

„Alle großen Religionen kennen die Versuchung, Gewalt im Namen des Glaubens zu rechtfertigen.<br />

Alle sind in der Geschichte dieser Versuchung auch erlegen. Nicht nur im Gespräch mit Muslimen,<br />

sondern auch in der kritischen Selbstbefragung, die ein konstitutiver Bestandteil jeden religiösen Lebens<br />

ist, werden Kirche und Christen deshalb immer auch die Gewalttendenzen in der eigenen Geschichte<br />

offen legen und anerkennen.“ (Kardinal Lehmann). 16<br />

Wer möchte widersprechen, wenn der Aufklärer Georg Christoph Lichtenberg sagt: „Dass die Religion<br />

selbst Kriege veranlaßt hat, ist abscheulich und die Erfinder der Systeme werden gewiß dafür büßen<br />

müssen. Wenn die Großen und ihre Minister wahre Religion, und die Untertanen vernünftige Gesetze<br />

und ein System hätten, so wäre allen geholfen.“ 17 Den Kontrapunkt setzte der amerikanische<br />

Physiker Steven Weinberg mit der Formel: „Mit oder ohne Religion gibt es gute Menschen, die Gutes<br />

tun, und böse Menschen, die Böses tun. Aber damit gute Menschen Böses tun, braucht es Religion.“ 18<br />

Als Folge der Aufklärung gibt es in Europa heute keine Inquisition mehr, keinen Index verbotener<br />

Bücher, keine lebensbedrohende Denunziationen aus religiösen Motiven oder Ketzerverurteilungen.<br />

Gerade wenn heute leichthin von einer Wiederkehr der Religion gesprochen wird, ist es umso mehr<br />

notwendig, diese dunkle Seite der praktizierten Religion nicht völlig zu vergessen. In den Beispielen<br />

geht es um Intoleranz, Grundrechte wie Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit und um altertümlich<br />

erscheinende Formen des Aberglaubens. Unter dem historischen Gewand sind durchaus innerliche<br />

Entsprechungen zu heutigen Wert-Konflikten und den Grundzügen des heutigen Aberglaubens zu<br />

erkennen.

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