Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
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206 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />
23 In einer pluralistischen Welt mit Toleranz für andere Religionen<br />
und <strong>Menschenbilder</strong>?<br />
Pluralismus<br />
Pluralismus im Gegensatz zum Monismus heißt, Erkennen und Gelten-lassen einer Vielheit, seien es<br />
Anschauungen, Religionen und Kulturen, Lebensweisen und Gebräuche. Der Pluralismus von Weltanschauungen<br />
bedeutet Anerkennung politischer oder religiöser Überzeugungen, die heterogenen Ursprungs<br />
sind. Dieses Gelten-lassen kann verschiedene Formen annehmen. Wird das Andere nur tolerant<br />
hingenommen, vielleicht als verschieden gesehen, umgedeutet und assimiliert, oder wirklich als ein<br />
Anderes erkannt, als gleichberechtigt begriffen und aktiv geschützt? Wie werden Gleichheit und Gerechtigkeit<br />
praktisch umgesetzt? 1<br />
Monismus als Gegenbegriff zum Pluralismus ist die Überzeugung, dass alles aus einem umfassenden<br />
Prinzip übernatürlicher oder natürlicher Art abzuleiten, in einem Ganzen zu erklären und zu werten ist:<br />
Religion und Staat, Erziehung und Wissenschaft, öffentliches und privates Leben. Es sind Manifestationen<br />
des einen Geistes, des einen Gottes, der einen Gesellschaftsidee. In diesem Monismus liegen<br />
der Wahrheitsanspruch und die Ausschließlichkeit, die sich zur Intoleranz gegen andere Überzeugungen,<br />
zum Dogmatismus und Fundamentalismus und im Extrem zum Totalitarismus steigern können.<br />
Da in diesem System alle abweichenden Auffassungen als Negation des einen und unbedingt herrschenden<br />
Prinzips wirken müssen, besteht kein echter Platz für Freiheitsrechte und Individualismus.<br />
In der Kritik am Pluralismus wird, insbesondere von kirchlicher Seite, gelegentlich ein Zerrbild<br />
entworfen, die pluralistische Einstellung könne keine ethischen Normen mehr haben und müsse automatisch<br />
zu einer uferlosen Beliebigkeit oder zum Nihilismus, zur Moral- und Wertlosigkeit führen.<br />
Dabei wird verkannt, dass Pluralismus eine denknotwendige Folge der Freiheitsrechte ist. Diese individuellen<br />
Freiheitsrechte werden seit der Aufklärung immer in einem Spannungsverhältnis zu den<br />
Rechten der anderen Menschen, d.h. im Sinne einer Güterabwägung, verstanden. Die Grenzen werden<br />
jedoch nicht durch eine bestimmte Kirche oder Religion bestimmt, sondern in den Demokratien durch<br />
die allgemeinen Menschenrechte und durch das Zivil- und das Straf-Gesetzbuch, wenn die Rechte von<br />
Einzelnen oder von Bevölkerungsgruppen Schaden erleiden.<br />
Wer für den Pluralismus religiöser Überzeugungen eintritt, darf es sich nicht zu leicht machen<br />
und die Grenzbereiche und realen Konflikte übersehen. Deswegen werden hier außer den umstrittenen<br />
Missionsbewegungen der Kirchen und evangelikalen Gemeinschaften auch der Bereich des Aberglaubens,<br />
die sogenannte Esoterik und die Psychosekten angesprochen. Auf diesen Feldern müssen sich<br />
die Toleranzregeln und zugleich die Abgrenzung von einem ethisch und rechtlich nicht akzeptablen<br />
Verhalten bewähren.<br />
Politischer Pluralismus<br />
Pluralismus wird vor allem als Gegensatz zu den politisch-ideologisch oder religiös bestimmten (monistischen)<br />
Gesellschaftsordnungen verstanden: Toleranz gegenüber abweichenden Überzeugungen<br />
und Intoleranz gegenüber Ideologien, die gerade diese pluralistische Gesellschaft gefährden. Nach<br />
diesem Prinzip der Ordnung und der Nichteinmischung in die Wertvorstellungen und Lebensweisen<br />
der Bürger wird die Gesellschaft organisiert. Es gilt Wege zu finden, um die individuellen Freiheiten<br />
zu erhöhen und zugleich den zivilen Frieden zu sichern, d.h. die soziale Ordnung aufrechtzuerhalten.<br />
Trotz weltanschaulicher Neutralität und Trennung von Kirche und Staat muss ein Grundkonsens über<br />
bestimmte Werte vorhanden sein, damit Konflikte nach Regeln ausgetragen werden können. So gibt es<br />
in den parlamentarischen Demokratien Grenzlinien der Toleranz gegenüber gewaltsamen Umsturzversuchen<br />
durch Feinde der Demokratie. Pluralismus und Toleranz sind der Gegenentwurf zu totalitären<br />
Systemen, die nur eine einzige, für alle verbindliche Ideologie gelten lassen und alle abweichenden<br />
Meinungen und Menschenrechte unterdrücken. 2