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Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

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19 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

Verdrängung<br />

Die Welt der triebhaften Motive wird bildlich als „Kessel voll brodelnder Erregung“ beschrieben. Die<br />

Selbsterhaltung erfordert eine Abwehr dieser drängenden Impulse, damit diese nicht in der Phantasiegestalt<br />

hemmungsloser Sexualität und aggressiver Gewalttätigkeit unser Bewusstsein überschwemmen<br />

und unser Leben beherrschen. Die Ich-Funktionen sind einerseits auf die moralischen Normen des<br />

Über-Ichs bezogen, andererseits auf die Außenwelt. Nach Freuds Auffassung wäre das Ich gewöhnlich<br />

für eine wirksame Triebkontrolle zu schwach, falls es sich nicht realitätsangemessen an Erinnerungen<br />

orientieren und eine vorausschauende Angst mobilisieren könnte: Was wird passieren, wenn den<br />

Triebbedürfnissen Raum gegeben würde? Die heftigsten Impulse müssen unterbunden, d.h. mittels der<br />

antizipierten Angsterregungen dynamisch verdrängt und unbewusst gemacht werden, so wie es im<br />

Traumerleben mit den peinlichen Wünschen geschieht, die nur in verstellter Weise erfüllt werden<br />

können. Wenn diese Verdrängung und andere Abwehrmechanismen nicht erfolgreich sind, entwickeln<br />

sich als Folge missglückender psychischer Regulation individuell verschiedene Symptome, Neurosen,<br />

Panikattacken, Zwangsvorstellungen u.a. Die psychoanalytische Krankheitslehre, die Diagnostik und<br />

vor allem die Therapie setzen hier an.<br />

Bewusstwerdung, Entlarvung oder Aufklärung?<br />

Ein Leitmotiv durchzieht Freuds Selbstanalyse und seine Berichte über Patienten: Er will die unbewussten<br />

Motive des gewöhnlichen Verhaltens und der neurotischen Verhaltensstörungen erkennen.<br />

Dazu gehört primär die Abhängigkeit von elementaren biologischen Antrieben. Zweitens geht es um<br />

die frühe kindliche Entwicklung mit ihren formenden, negativen und positiven emotionalen Erlebnissen<br />

und drittens um die Erziehung nach den kulturellen, z.T. unbewusst bleibenden Normen. Die<br />

Konflikte zwischen diesen mächtigen Einflüssen sind unvermeidlich, machen die Widersprüche des<br />

Menschen aus und bilden oft als ungelöste Konflikte die Basis vieler Verhaltens- und Gesundheitsstörungen.<br />

Diese Absicht, Verborgenes aufzudecken, ließ den Eindruck entstehen, Freud ginge es vor allem<br />

um das Aufdecken der negativen Seiten des Menschen, nur um die großen Entlarvungen, mit einseitiger<br />

Fixierung auf die Schattenseiten des Menschen und auf Pathologisches. So haben es jedenfalls<br />

viele seiner Leser verstanden, die Freuds Psychoanalyse deswegen pauschal ablehnten. Was bisher nur<br />

seltene und extreme Formen der Psychopathologie zu sein schienen, sollte nun in der unbewussten<br />

Tiefe jedes Menschen existieren und seine Sittlichkeit gefährden: Abhängigkeit von unbewussten biologischen<br />

Trieben, unerlaubte Sexualität, Perversionen, Machtstreben und Gewalt, Lust an Zerstörung,<br />

Todeswünsche gegen Nahestehende, Gottlosigkeit und der deswegen drohende Verlust aller Sittlichkeit.<br />

Freud sieht sich als Entdecker bisher weitgehend unbekannter psychischer Regionen des Menschen,<br />

als Aufklärer über die eigentliche Verfassung des Menschen. Er fordert eine nüchterne und<br />

unerbittliche psychologische Aufklärung des Menschen über sich selbst. Auch in der ausgeübten Religion<br />

sieht er viele Selbsttäuschungen und Illusionen und entwickelt eine pessimistische Weltsicht angesichts<br />

der unlösbar erscheinenden Widersprüche zwischen der biologischen Natur des Menschen<br />

und der durch die Kultur und Gesellschaft erzwungenen Einschränkungen. Trotz der oft starken und<br />

negativen Emotionen, die mit der Bewusstwerdung der eigenen Triebhaftigkeit und Lebenskonflikte<br />

ausgelöst werden, gehört dieser Prozess zur persönlichen menschlichen Reifung. Diese fundamentalen<br />

psychologischen Einsichten ermöglichen es auch, die sozialen Verhältnisse besser zu verstehen, erlauben<br />

aber nur sehr begrenzte Hoffnungen auf humane Fortschritte.<br />

Glücksstreben, Kultur als Triebverzicht<br />

Freud wendet sich der Frage zu, „was die Menschen selbst durch ihr Verhalten als Zweck und Absicht<br />

ihres Lebens erkennen lassen, was sie vom Leben fordern, in ihm erreichen wollen.“ Seine Antwort<br />

lautet:<br />

„... sie streben nach dem Glück, sie wollen glücklich werden und so bleiben. Dies Streben hat zwei<br />

Seiten, ein positives und ein negatives Ziel, es will einerseits die Abwesenheit von Schmerz und Unlust,<br />

anderseits das Erleben starker Lustgefühle. ... Jede Fortdauer einer vom Lustprinzip ersehnten Situation<br />

ergibt nur ein Gefühl von lauem Behagen; wir sind so eingerichtet, dass wir nur den Kontrast

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