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Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

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221 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

24 Ohne Schöpfer-Gott und unsterbliche Seele – nur ein aufgeklärter<br />

Mensch?<br />

In den vorausgegangenen Kapiteln wurde die Vielfalt religiöser und säkularer Grundüberzeugungen<br />

aus einem weiten, aber natürlich unerschöpflichen Feld geschildert. Kants Frage, was der Mensch ist,<br />

hat nur teilweise Antworten gefunden. Die kritische Vernunft, die ihre Bedingungen und Möglichkeiten<br />

reflektiert, gelangte nicht mit allgemeiner Überzeugungskraft zu den von Kant herausgehobenen<br />

drei regulativen Ideen: Gottesbezug, unsterbliche Seele, Willensfreiheit. Auch die Gegenpositionen<br />

können mit vernünftigen Gründen eingenommen werden. In einer säkularen und demokratischen Gesellschaft<br />

wird dieser Pluralismus der Überzeugungen und <strong>Menschenbilder</strong> fortbestehen und zum Alltag<br />

einer zunehmend multikulturell geprägten Gesellschaft gehören.<br />

Bei aller erfahrbaren Vielfalt der <strong>Menschenbilder</strong> lassen sich einige wiederkehrende Grundüberzeugungen<br />

ausmachen. In einer Quintessenz wird die ausführliche Darstellung zusammengefasst.<br />

Der Gottes-Glauben im Sinne der Offenbarungsreligion ist weiterhin sehr verbreitet, ebenso der<br />

Atheismus und Agnostizismus. Die kirchlichen Bindungen haben in Deutschland stark abgenommen,<br />

doch ist Kants Prognose einer Ablösung der Offenbarungsreligion durch eine breite Vernunftreligion<br />

nicht eingetreten. – Der Glauben an einen persönlichen Gott ist kein zwingendes Definitionsmerkmal<br />

jeder Religion; eine spirituelle Grundhaltung muss nicht an Religiosität oder Religion gebunden sein.<br />

Glauben und Vernunft scheinen für viele gut vereinbar zu sein, andere meinen, dass der Anspruch des<br />

christlichen Glaubens Vernunftbrüche verlangt, z.B. hinsichtlich der Theodizee.<br />

Aufklärung des Menschen war und ist die Emanzipation von einem übermächtig herrschenden Dogma.<br />

Aufklärung ist die Einsicht in die Individualität der Menschen und das Gelten-Lassen der anderen<br />

Weltsichten und <strong>Menschenbilder</strong>. Eine notwendige Folge muss das Prinzip der Gleichberechtigung<br />

des Ungleichen mit der Toleranz Andersdenkender sein. Diese Toleranz bedeutet nicht Beliebigkeit,<br />

da die individuellen Freiheitswünsche durch die Freiheitsrechte der Anderen begrenzt werden.<br />

Die Überzeugung von einer geistigen Existenz nach dem biologischen Tod scheint heute verbreiteter<br />

zu sein als der Glauben an einen persönlichen Gott. Das Ich (das Selbst) des Menschen ist eine feststehende<br />

Voraussetzung der europäischen Anthropologie, aber kein selbstverständliches Faktum, wie das<br />

buddhistische Denken lehrt. Das Leib-Seele-Problem hat sich zum Gehirn-Bewusstsein-Problem gewandelt<br />

und hat auch in dieser verwissenschaftlichten Form kein einheitliches Verständnis gefunden.<br />

Die Kontroverse über die Willensfreiheit hat neue Aktualität gewonnen, denn Argumente aus den<br />

Neurowissenschaften und aus der Psychoanalyse besagen, dass die subjektiv als frei erlebte Willensentscheidung<br />

durch unbemerkte Hirnprozesse bedingt sein kann. Aus solchen Befunden ist jedoch<br />

nicht zwingend abzuleiten, dass der Handelnde ohne Verantwortung ist. Trotz vielfältiger Abhängigkeiten<br />

können wir am Grundsatz unserer Willensfreiheit festhalten und darin unsere bewusste Identität<br />

und Einheit bestimmen, auch wenn unsere Handlungsfreiheit eingeschränkt ist.<br />

Die universale Begründung ethischer Normen liegt in der Menschenwürde, die im Sinne der eigenen<br />

Identität und Willensfreiheit auch allen anderen Personen zuzuschreiben ist. Eine letzte Begründung<br />

der Ethik in Gott als höchster Instanz ist nicht unabweislich, so wichtig diese Orientierung für viele<br />

religiöse Menschen bleiben wird. Demgegenüber schließt die Begründung in der säkular bestimmten<br />

Menschenwürde die Nicht-Religösen ein. Eine überzeugende Normierung liefern die Erklärung der<br />

universalen Menschenrechte durch die Vereinten Nationen und als einfachstes Prinzip die interkulturell<br />

bestehende Goldene Regel.

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