Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
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68 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />
<strong>Menschenbilder</strong> der Biologie und Neurobiologie<br />
9 Egoistische Gene bestimmen mit ihrem Überlebens-Programm die<br />
biologische Anpassung und die Evolution unseres Gehirns<br />
Evolution des Lebens<br />
Das heutige Leben ist aus sehr elementaren Vorformen entstanden. Die ersten, als lebendig zu bezeichnenden<br />
Urformen könnten aus organischen Molekülen in einer chemischen „Ursuppe“ in einem<br />
geeigneten physikalischen Milieu und durch Mitwirkung zufällig vorhandener Katalysatoren entstanden<br />
sein. Diese zur Selbstorganisation fähigen Urformen waren erstmals replikationsfähig, d.h. sie<br />
konnten sich unter geeigneten Bedingungen vervielfachen. In einem viele Millionen Jahre währenden<br />
Prozess zufälliger Mutationen blieben spezielle Formen übrig, die sich zu sehr viel komplexeren Gebilden<br />
entwickelten, ähnlich denen, die heute als Archäobakterien (Ur-Bakterien ohne und mit Zellkern),<br />
Bakteriophagen, Viren usw. bezeichnet werden. Umweltfaktoren wie chemische Agentien, radioaktive<br />
oder ultraviolette Strahlung, Hitze usw. verursachten Veränderungen in dem genetischen<br />
Material, den DNS-Strukturen, unter denen sich die überlebensfähigsten Mutationen durchsetzten.<br />
„Was das Gen zu einem aussichtsreichen Anwärter auf die Funktion der Grundeinheit der natürlichen<br />
Auslese macht, ist seine potentielle Unsterblichkeit. ... Ein Gen kann eine Million Jahre lang leben,<br />
aber vielen neuen Genen gelingt es noch nicht einmal, die erste Generation zu überdauern. Die wenigen<br />
neuen Gene, die erfolgreich sind, haben zum Teil einfach Glück, vor allem aber ‚haben sie das<br />
Zeug dazu’, das bedeutet, sie sind gute Konstrukteure von Überlebensmaschinen. Sie beeinflussen die<br />
Embryonalentwicklung jedes der aufeinander folgenden Körper, in denen sie sich befinden derart,<br />
dass dieser Körper eine geringfügig größere Chance hat, zu leben und sich zu reproduzieren, als er<br />
sie unter dem Einfluss des konkurrierenden Gens oder Allels gehabt hätte. ... Jedes Gen, welches<br />
sich so verhält, dass es seine eigenen Überlebenschancen im Genpool auf Kosten seiner Allele vergrößert,<br />
wird definitionsgemäß dazu neigen, zu überleben – das ist eine Tautologie. Das Gen ist die<br />
Grundeinheit des Eigennutzes.“ (Dawkins, Das egoistische Gen, 1978). 1<br />
„Der Kern des Arguments lautet also, dass das Gehirn existiert, weil es das Überleben und die<br />
Vermehrung jener Gene fördert, die seinen Aufbau steuern. Der menschliche Geist ist ein Mittel des<br />
Überlebens und der Reproduktion, und die Vernunft ist nur eine seiner vielfältigen Techniken.“ (Wilson,<br />
Biologie als Schicksal, 1980). 2<br />
Bestimmen egoistische Gene mit der Tendenz zum Überleben – durch biologische Anpassung und<br />
Evolution unseres Gehirns – auch unserer Handeln und unsere Motive hinsichtlich Macht, Geltung<br />
und Erfolg? Oder ist mit dem unbedingten Eigennutz hier nur ein fragwürdiges Bild entworfen? Manifestiert<br />
sich in der überlebenstüchtigen Durchsetzung bereits in einem einzelnen Gen der fundamentale<br />
und blinde Wille zum Leben, den Philosophen wie Schopenhauer und Psychologen wie Freud meinten?<br />
Der plakative Begriff des egoistischen Gens blieb nicht unwidersprochen. Das einzelne Gen ist<br />
schon auf molekularbiologischer Ebene nicht isoliert zu sehen, sondern ist Teil eines zusammenwirkenden<br />
biochemischen Systems zur Weitergabe und Optimierung biologisch relevanter Informationen.<br />
Dem Gen-Egoismus wird eine Gesamteignung (inclusive fitness) der gesamten genetischen Verwandtschaft<br />
gegenübergestellt. Mit dieser Akzentverschiebung werden die Abhängigkeiten und die