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Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

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110 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

Leidensgeschichte Jesu Christi und dem Vertrauen auf Erlösung des Einzelnen in einem Heilsplan<br />

Gottes.<br />

Die aus dem Katechismus der Katholischen Kirche zitierten Stellen sind für viele Menschen authentische<br />

Glaubenswahrheiten, viele andere Menschen werden sie nicht teilen können. Zwischen den<br />

beiden großen Konfessionen – und noch ausgeprägter zu vielen der anderen christlichen Religionsgemeinschaften<br />

– bestehen tief reichende dogmatische Unterschiede. Gilt die biblische Offenbarung in<br />

dem Sinne, wie sie von den Kirchenvätern und den Konzilien in ihrer langen Tradition gestaltet und<br />

autoritativ ausgelegt worden ist, oder gilt allein das Wort (Gehalt) der Heiligen Schrift, oder gilt die<br />

Heilige Schrift sogar wortwörtlich (fundamentalistisch). Die Römisch-Katholische Kirche lehrt, dass<br />

die rechte Auslegung der Heiligen Schrift durch das kirchliche Lehramt geschützt werde, denn nur auf<br />

diese Weise könne das Wirken des Heiligen Geistes als sicher gelten. Martin Luther hielt dagegen,<br />

dass die Schrift aus sich selbst heraus und im Geiste Gottes ausgelegt werden müsse: sola scriptura<br />

(lat. allein die Schrift).<br />

Gegen die moderne Tendenz, sich ein jeweils eigenes Verständnis des Dogmas zurecht zu legen,<br />

steht die Überzeugung, dass ein Katechismus unverzichtbar ist, um die gemeinsamen Grundlagen festzuhalten<br />

und diese Glaubenssätze gleichsinnig zu lehren. Andernfalls würden alle Glaubenswahrheiten<br />

und Grenzen verschwimmen und die göttliche Offenbarung wie eine beliebig zu deutende Literatur<br />

behandelt.<br />

Einheit des Glaubens?<br />

Welches sind aber die unverzichtbaren Komponenten des Glaubensbekenntnisses? Über diese schwierigen<br />

Fragen haben viele Theologen nachgedacht, und der Weltkirchenrat hat sich um einen Konsens<br />

bemüht. Weitere Schwierigkeiten tun sich auf, wenn die in der Volkskirche gelebte Religiosität der<br />

vielfach sehr abstrakten Diskussion der reformbereiten Theologen gegenübergestellt wird. In dieser<br />

modernen Bibelexegese haben nicht wenige der in ihrer Bildersprache vertrauten Erzählungen und<br />

Gleichnisse des Alten und des Neuen Testaments ihre bisherige Botschaft verändert, weil sie heute<br />

sprachlich, historisch und theologisch anders gelesen werden müssen. Eine bemerkenswerte Form<br />

dieser neuen Bearbeitungen ist eine im Jahr 2006 mit Unterstützung von Personen beider Konfessionen<br />

und kirchlicher Gruppen publizierte Bibel in „gerechter Sprache“. Der Text wurde durchgängig<br />

verändert: Die Bibel soll geschlechterneutral und gerecht, d.h. ohne Diskriminierungen, und ohne<br />

Vorurteile des Antijudaismus sein.<br />

So wird es nicht selten geschehen, dass auch der wörtliche Text des Vaterunsers und des Glaubensbekenntnisses<br />

von den Gläubigen z.T. mit heutigen Bedeutungen übersetzt oder individuell ausgedeutet<br />

bzw. mit eigenen Vorstellungen im Sinne eines sehr persönlichen Bekenntnisses versehen<br />

wird. Aus solchen abweichenden Interpretationen sind die zahlreichen Freikirchen und evangelikalen<br />

Gemeinschaften entstanden. Bereits in der ersten Christengemeinde in Jerusalem gab es Auseinandersetzungen<br />

mit sogenannten Ketzern. Die Amtskirche hat sich immer wieder von Ketzern, Häretikern<br />

und Sektierern trennen müssen, um die zentralen Glaubenswahrheiten zu bewahren und gegen Umdeutungen<br />

zu verteidigen. Die römisch-katholische Kirche ist bis heute kein Mitglied des Weltkirchenrates,<br />

sondern nur Beobachter.<br />

Große konfessionelle Differenzen bestehen heute in den Auffassungen von der Kirche, von Kirchenamt<br />

und Kirchenautorität, in der Lehre von den Sakramenten sowie der Möglichkeit, Gnade und<br />

Heil zu erlangen, hinsichtlich der Marienverehrung, der Heiligen- und Reliquienverehrung. Unterschiede<br />

bestehen u.a. auch in einzelnen moralischen Geboten und Verboten, speziell im Bereich der<br />

Sexualität des Menschen. Sogar eine Einigung auf eine überkonfessionelle Überarbeitung der seit<br />

1979 geltenden Einheitsübersetzung der Bibel scheint unmöglich zu sein, da der Vatikan im Sinne<br />

eines Dekrets aus dem Jahr 2001 darauf beharrt, dass kein Wortschatz übernommen wird, den „das<br />

katholische Volk mit dem Sprachgebrauch nichtkatholischer kirchlicher Gemeinschaften verwechseln<br />

könnte.“ Im menschlichen Zusammenleben und in ökumenischen Veranstaltungen spielen diese Unterschiede<br />

keine große Rolle. Sobald das Gespräch tiefer geht, treten solche fundamentalen theologischen<br />

Unterschiede stärker hervor: Es gibt vor allem kein gemeinsames Abendmahl-Verständnis, wie<br />

der weiterhin geltende Ausschluss Andersgläubiger von der Eucharistie-Feier zeigt. Erst 2007 haben<br />

die Kirchen in Deutschland wenigstens die wechselseitige Anerkennung der Taufe vereinbart. Aber<br />

der Vision von der Einheit der Christen in ökumenischer Offenheit begegnete der Vatikan wiederholt

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