30.12.2012 Aufrufe

Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

56 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

Das Thema Menschenbild<br />

Die <strong>Menschenbilder</strong> müssten eigentlich ein zentrales Thema der empirischen Psychologie bilden, denn<br />

die Psychologie versteht sich als die Wissenschaft vom Erleben und Verhalten des Menschen. Doch<br />

die grundlegenden Überzeugungen der Menschen finden in der psychologischen Forschung kaum<br />

Interesse. Gelegentlich gibt es in einigen Bereichen der angewandten Psychologie, u.a. der Pädagogischen<br />

Psychologie oder der Arbeitspsychologie, einige Hinweise, wie wichtig bestimmte Einstellungen,<br />

Wertorientierungen und allgemeine Überzeugungen für das Verhalten der Einzelnen sein könnten.<br />

Am ehesten finden sich solche kritischen Gedanken noch im Bereich der Psychotherapie und Rehabilitation.<br />

Dabei drängt sich die Frage auf, ob die speziellen <strong>Menschenbilder</strong> der Psychotherapeuten<br />

einen Einfluss auf die Therapieziele haben werden. In den meisten der zur Ausbildung dienenden<br />

Lehrbücher würde allerdings vergeblich nach einer systematischen Darstellung oder gar einer vergleichenden<br />

empirischen Studie gesucht werden, als ob keinerlei Zusammenhang mit dem allgemeinen<br />

Menschenbild besteht, als ob die wissenschaftliche Psychologie und ihre Berufspraxis gleichsam „weltanschaulich<br />

neutral“ abliefen. – Im Folgenden muss zwischen dem Menschenbild der Lehrbuchautoren<br />

bzw. Psychotherapeuten und dem Menschenbild der Bevölkerung bzw. der Patienten unterschieden<br />

werden.<br />

In der Psychologie sind es vor allem die Autoren von Lehrbüchern der Persönlichkeitspsychologie,<br />

die sich von nicht-empirischen Fragen, von Philosophie und Religion, abgrenzen müssen. Im Unterschied<br />

zu den Anwendungsfeldern der Psychologie kommen <strong>Menschenbilder</strong> in der Persönlichkeitspsychologie<br />

ausführlicher zur Sprache: meist unter Begriffen wie Modell, Perspektive, Paradigma.<br />

Auch dem sozialen und politischen Zeitgeist wird ein Einfluss zugesprochen, wenn psychologische<br />

Theorien der Persönlichkeit konstruiert werden. Nur wenige der Lehrbücher, wie das von Herman-Josef<br />

Fisseni, vermitteln beispielhaft die Auffassung, dass die philosophischen bzw. die entsprechenden<br />

wissenschaftstheoretischen Orientierungen eine wesentliche Rolle bei der Konzeption einer<br />

Persönlichkeitstheorie und bei der Auswahl der psychologischen Methoden spielen. Andere Lehrbuchautoren<br />

begnügen sich damit, den Pluralismus der Theorien festzustellen; nur selten werden die<br />

Grundüberzeugungen ausführlicher geschildert oder verglichen. 1 Die Diskussion dringt nur selten zu<br />

den grundlegenden Überzeugungen vor bzw. zu den Gründen, weshalb die Frage „Was ist der<br />

Mensch?“ so verschieden beantwortet wird. Um die Auffassung des Lehrbuchautors zu erkennen,<br />

werden die Leser eher zwischen den Zeilen lesen müssen, denn offene Stellungnahmen sind selten.<br />

Einwände gegen philosophische Themen in der Persönlichkeitspsychologie<br />

Eine gängige Lehrmeinung der universitären Psychologie lautet, dass die Frage „Was ist der Mensch?“<br />

viel zu allgemein ist, und alle philosophischen Versuche einer Wesensbestimmung des Menschen jenseits<br />

der empirischen Psychologie liegen. In der wissenschaftlichen Psychologie ginge es dagegen um<br />

Feststellungen, die nicht persönliche Überzeugungen sind, sondern intersubjektiv an der Erfahrung<br />

geprüft werden, d.h. auch an dieser Erfahrung scheitern können.<br />

Der Mensch als Geistwesen mit unsterblicher Seele oder Auffassungen des Leib-Seele-Problems<br />

oder die Willensfreiheit gehören nach gegenwärtigem Verständnis nicht in ein heutiges Lehrbuch der<br />

Psychologie. Diese Entscheidungen sind in den Sachregistern der Lehrbücher leicht zu erkennen; die<br />

deutschen und die amerikanischen Lehrbücher unterscheiden sich darin kaum. Ausgeklammert bleiben<br />

die Fragen nach dem Sinn des Lebens, Religiosität, Spiritualität, das unserer Kultur implizite christliche<br />

Menschenbild und das Bekenntnis zu einem persönlichen Schöpfergott (Theismus) oder zum<br />

Atheismus. Wenn konsequent gedacht und argumentiert wird, müssten sich solche Grundüberzeugungen<br />

auf viele nachgeordnete Persönlichkeitsaspekte, Einstellungen und Verhaltesweisen auswirken.<br />

Dennoch scheint unter den Fachpsychologen eine grundsätzliche Scheu oder Ablehnung solcher philosophisch-weltanschaulichen<br />

Fragen in der als empirisch verstandenen wissenschaftlichen Psychologie<br />

zu bestehen. Drei dieser Grundfragen werden im Kapitel 18 eingehender diskutiert.<br />

In weiten Bereichen der Psychologie wären solche philosophischen Kommentare tatsächlich<br />

überflüssig, nicht jedoch, wenn eine umfassende Theorie der Persönlichkeit entwickelt oder z.B. die<br />

individuellen Zielsetzungen der Psychotherapie erörtert werden. Es sei denn, es würde behauptet, dass<br />

gerade solche zentralen Überzeugungen ohne Belang für das Verhalten bzw. das Verständnis der Menschen<br />

sind. Diese Abstinenz von psychologisch-anthropologischen Fragen kann damit begründet wer-

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!