Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
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151 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />
sen, was Menschen empirisch-wissenschaftlich zu erfassen vermögen oder was menschliche Vernunft<br />
letztlich erschließen kann. Die Absicht, die Existenz Gottes zu beweisen, könnte als herabsetzendes,<br />
blasphemisches Ansinnen aufgefasst werden, das Vollkommene zu einem empirischen Begriff zu machen.<br />
Der Ursprung des Glaubensaktes wäre damit nicht erschlossen.<br />
Philosophische Gottesbeweise<br />
Gibt es außer dem vertrauensvollen Glauben auch Vernunftgründe für die Existenz Gottes? Einer dieser<br />
Gottesbeweise lautet: Alles was ist, hat einen Grund, weshalb es ist. Es muss einen höchsten (ersten)<br />
Grund für alles Seiende, die Welt und die Menschheit geben, eine erste Ursache aller Wirkungen<br />
und das kann nur der allmächtige Schöpfergott sein. Ähnliche Argumente lauten: Es muss einen Sinn<br />
und einen Endzweck geben, eine vollkommene höchste Wahrheit und ein höchstes Gutes. Aus dem<br />
Gewissen der Einzelnen und aus der Übereinstimmung aller Völker sei Gott als universale Erfahrung<br />
festgestellt. Seit Augustinus und seit Thomas von Aquin bemühten sich viele – bis in die Gegenwart –<br />
um die Erneuerung solcher Gottesbeweise.<br />
„Gott ist eine wahrscheinliche Annahme“ – „Das Herz hat seine Gründe, welche der Verstand nicht<br />
kennt“ (Blaise Pascal).<br />
„Ist denn wohl unser Begriff von Gott etwas weiter, als personifizierte Unbegreiflichkeit?“ (Lichtenberg)<br />
„Gott ist ein unnötige Hypothese“ (Pierre de Laplace).<br />
„Gott ist nicht vorfindlich, feststellbar und erkennbar“, wird aber als existenziell erfahren (Dietrich<br />
Bonhoeffer).<br />
Der religiöse Mensch beruft sich auf seine innere Überzeugung: aber muss etwas Gedachtes real sein?<br />
Bereits in den Anfängen der griechischen Philosophie wurde zutiefst gezweifelt und behauptet, der<br />
Mensch könne nichts über Götter sagen. Immanuel Kant schien überzeugend dargelegt zu haben: Gott<br />
kann nicht bewiesen, aber auch nicht widerlegt werden. Gott ist kein Teil der Welt und kann nicht<br />
durch direkte sinnliche Erfahrung festgestellt werden. Könnte ein vollkommen zeitlos existierender<br />
Gott überhaupt in Wirkung treten mit einer sich wandelnden Welt? Oder zeigen erhörte Gebete, Fügungen<br />
und auch Wunder nicht doch Gottes Wirken, selbst im Alltag des Menschen? Die Behauptung,<br />
dass in der Entwicklung des irdischen Lebens ein intelligentes Design zu erkennen sei, läuft auf einen<br />
Gottesbeweis auf biologischer Grundlage hinaus (Kapitel 9). Kant sah statt eines Gottesbeweises nur<br />
ein denknotwendiges Prinzip: Das Vorhandensein des absolut verpflichtenden Moralgesetzes in uns<br />
und die zugehörige Vorstellung der Gerechtigkeit veranlassen uns, die Existenz Gottes zu postulieren.<br />
Auch 200 Jahre nach Kant ist das Thema aktuell, oft wird es ein Streit, welche Seite die Beweislast zu<br />
tragen oder die Widerlegung zu leisten habe.<br />
Das Böse in der Welt und die Theodizee<br />
Das katastrophale Erdbeben, das gerade am Festtag Allerheiligen im Jahr 1755 die Stadt Lissabon<br />
zerstörte und Zehntausende von Toten verursachte, stieß eine religionsphilosophische Debatte an, die<br />
bis heute fortdauert. Waren die Allmacht, die Allgüte und die Allwissenheit Gottes mit der Existenz<br />
des Bösen in der Welt zu vereinbaren? Gab es für die Katastrophe naturwissenschaftliche Erklärungen<br />
oder war es, der katholischen Kirche zufolge, eine göttliche Strafe für die in Sünde lebenden Menschen?<br />
Rousseau, Voltaire und Kant widersprachen heftig. Gottfried Wilhelm Leibniz hatte 1710 noch<br />
gemeint, solche Widersprüche philosophisch auflösen zu können.<br />
Als Theodizee wird seit Leibniz die Frage nach der Gerechtigkeit und auch nach der Rechtfertigung<br />
Gottes hinsichtlich des Leidens und des Bösen in der Welt bezeichnet. Weshalb Gott in seiner<br />
Güte und Gerechtigkeit all dies geschehen lässt (und stumm bleibt), ist den Menschen nicht verständlich.<br />
Leibniz zog mit seiner Frage – sozusagen – Gott vor Gericht und sprach ihn mit seiner Theodizee-Antwort<br />
wieder frei: Gott ist allwissend, die Menschen nicht. Es gibt das Böse, aber aus Bösem<br />
entsteht auch Gutes, das eben nur zu diesem Preis zu haben sei. Wir leben nicht in einem Paradies,<br />
aber unsere Welt könnte sich zur „besten aller möglichen Welten“ entwickeln.<br />
Wie nach Auschwitz ein allmächtiger und ein alle Menschen liebender Gott zu denken ist, hat für<br />
sehr viele Menschen keine überzeugende Antwort mehr gefunden. Die Frage nach der Theodizee wird