Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
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18 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />
Ichs, das auch die günstigste und gefahrloseste Art der Befriedigung mit Rücksicht auf die Außenwelt<br />
herauszufinden hat. Das Über-Ich mag neue Bedürfnisse geltend machen, seine Hauptleistung bleibt<br />
aber die Einschränkung der Befriedigungen.<br />
Die Kräfte, die wir hinter den Bedürfnisspannungen des Es annehmen, heißen wir Triebe. Sie<br />
repräsentieren die körperlichen Anforderungen an das Seelenleben. ... Nach langem Zögern und<br />
Schwanken haben wir uns entschlossen, nur zwei Grundtriebe anzunehmen, den Eros und den Destruktionstrieb.<br />
... Das Ziel des ersten ist, immer größere Einheiten herzustellen und so zu erhalten,<br />
also Bindung, das Ziel des anderen im Gegenteil, Zusammenhänge aufzulösen und so die Dinge zu<br />
zerstören. Beim Destruktionstrieb können wir daran denken, daß als sein letztes Ziel erscheint, das<br />
Lebende in den anorganischen Zustand zu überführen. Wir heißen ihn darum auch Todestrieb.“ 2<br />
Statt von einer inneren Instanz des Selbst-Bewusstseins und der Vernunft geleitet zu sein, wird der<br />
Mensch in seinem Erleben und Handeln entscheidend von zwei mächtigen Triebkräften, Eros-<br />
Sexualität und Destruktions-Trieb, seinem „Unbewussten“, regiert. Diese Triebe streben einzig nach<br />
Befriedigung. Doch eine sofortige und rücksichtslose Triebbefriedigung, wie sie das vom „unerbittlichen<br />
Lustprinzip“ geleitete Es verlangt, würde oft zu gefährlichen Konflikten mit der Außenwelt und<br />
zum Untergang führen. Die Aufgabe des Ichs ist es nun, Kompromisse zwischen dem Triebanspruch<br />
und der Realität zu finden, indem, gestützt auf Wahrnehmung, Situationsanalyse und Erinnerung an<br />
früheres Geschehen, eine Risikobewertung und ein Abschätzen der wahrscheinlichen Konsequenzen<br />
erfolgt.<br />
„Das Ich trifft auf diese Weise die Entscheidung, ob der Versuch zur Befriedigung ausgeführt oder<br />
verschoben werden soll oder ob der Anspruch des Triebes nicht überhaupt als gefährlich unterdrückt<br />
werden muss (Realitätsprinzip). Wie das Es ausschließlich auf Lustgewinn ausgeht, so ist das Ich von<br />
der Rücksicht auf Sicherheit beherrscht. Das Ich hat sich die Aufgabe der Selbsterhaltung gestellt, die<br />
das Es zu vernachlässigen scheint. Es bedient sich der Angstsensationen als eines Signals, das seiner<br />
Integrität drohende Gefahren anzeigt.“ 3<br />
So wie sich nach Freuds Lehre die Ich-Funktionen im Laufe der biologischen Evolution aus dem Es<br />
herausbilden, entwickelt sich über die Ich-Funktionen hinaus ein besonderer Bereich, der sich aus den<br />
wiederkehrenden Erfahrungen und verinnerlichten Prinzipien aufbaut. Dieses Über-Ich umfasst die<br />
erworbenen, durch die Erziehung vermittelten kulturellen Normen, Wertvorstellungen, Moral, Gewissen<br />
u.a.<br />
Unser Verhalten steht demnach unter der Herrschaft des Lustprinzips und des Realitätsprinzips.<br />
Freud äußert sich pessimistisch, denn er meint, dass die unangepassten aggressiven und sexuellen<br />
Triebimpulse sich häufig gegen die nur schwachen Kontrollversuche der Ich-Funktionen durchsetzen.<br />
Das Ich ist gleichsam ein Prügelknabe zwischen den drängenden Forderungen des Es und den moralischen,<br />
oft sehr strengen Vorschriften des Über-Ich. Misslingender Ausgleich verursacht Ängste,<br />
Schuldgefühle und Anpassungsstörungen. Lebenslang nachwirkend sind dabei emotionale Erlebnisse<br />
der frühen Kindheit. Typisch sind die ohnmächtige Rivalität mit der mächtigen Vaterfigur und die<br />
liebevolle Zuneigung zur Mutter mit dem eifersüchtigen Wunsch, an die Stelle des Vaters zu gelangen<br />
– und die psychologische Aufgabe, sich aus dieser Situation (der sog. ödipalen Konstellation) zu einem<br />
selbständigen, reifen Charakter als liebesfähiger, arbeitsfähiger und genussfähiger Mensch zu<br />
entwickeln.<br />
In seinen Vorlesungen schildert Freud diesen Forschungsprozess ausführlich und betont wiederholt,<br />
wie vorläufig vieles noch sei. Er unterscheidet durchaus zwischen der Ebene der psychologischen<br />
Erfahrung und der Ebene theoretischer Erklärungen. Außerdem räumt er ein, dass die Psychoanalyse<br />
vor einem Hintergrund sehr allgemeiner Annahmen über den Menschen zu sehen ist. Er bezeichnet<br />
diese über die direkte Erfahrung hinausgehenden Auffassungen als „Metapsychologie“. An anderer<br />
Stelle schreibt Freud, er wolle die Psychoanalyse frei von Weltanschauung halten. So warnte er C.G.<br />
Jung vor Mystizismus und Okkultismus.