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Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

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133 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

bevorzugt Männer und verlangt besonderen Gehorsam von den Frauen, Sure 4.34), durch häusliche<br />

Gewalt, Zwangsheirat u.a. Diese Diskriminierungen haben sich in einigen islamischen Ländern, u.a. in<br />

der akademischen Ausbildung, in der Wirtschaft und in den Regierungsämtern deutlich verringert.<br />

Weshalb Christen, darunter auch Frauen, insbesondere wenn es sich nicht einfach um eine Anpassung<br />

an den Ehepartner handelt, zum Islam übertreten, hat zunehmendes Interesse gefunden. Als<br />

Gründe wurden genannt: Ganz allein vor Gott zu stehen und doch an einem intensiven religiösen und<br />

sozialen Leben der Gemeinde teilzunehmen, mit einem durch regelmäßige Gebete stark strukturierten<br />

Alltag. Eine Rolle spielt auch das Desinteresse am Christentum mit dem „Innenleben der Dreifaltigkeit“,<br />

an der Funktion eines Gottessohnes als Erlöser, an der Erbsünde oder an der Selbstdarstellung<br />

der Kirche. Auch die Realität des ewigen Lebens nach dem Tode wird genannt, die geistige Klarheit<br />

des Islam und die schöne Sprache des Koran. 5<br />

Ausblick<br />

Aus den religiösen Überzeugungen ergeben sich fundamentale Bestimmungen des Menschen. Jede<br />

Erörterung über den Sinn des Lebens, über die letzte Begründung der Moral oder über die Frage eines<br />

geistigen Lebens nach dem Tod wird zu solchen Glaubenssätzen führen – zustimmend oder ablehnend.<br />

Die christliche, buddhistische, chinesische und islamische Anthropologie bieten eine große<br />

Spannweite von unterschiedlichen <strong>Menschenbilder</strong>n. Bereits die kurzen Zitate und Auszüge belegen,<br />

wie gegensätzlich viele der Grundüberzeugungen sind. Da sich auch innerhalb der großen Religionen<br />

kontroverse Strömungen und Konfessionen herausgebildet haben, sind Verallgemeinerungen gewagt<br />

und alle Vergleiche bedenklich. Einfache Schemata führen nicht weit, wenn etwa Kernüberzeugungen<br />

hervorgehoben werden: für die jüdische Religion die Leitidee „Israel als erwähltes Volk Gottes“, für<br />

das Christentum „Christus als Sohn Gottes“ und den Islam „Koran als authentisches Wort Gottes“.<br />

Das Thema Religion und Menschenbild verlangt also, immer wieder einen Perspektivenwechsel<br />

vorzunehmen. Unvermeidlich werden bisher als selbstverständlich gehaltene Vorstellungen und Glaubenswahrheiten<br />

in Frage gestellt. Bereits die Vorstellung von dem einzigen Gott sind in monotheistischen<br />

Religionen so verschieden, dass Theologen an einer einheitlichen Definition zweifeln und Kardinäle<br />

gemeinsame Gebete von Christen und Muslimen untersagen. Christentum und Islam, so meint<br />

der Theologe Hans Küng, sind als religiöse Bewegungen miteinander verwoben. Er erwartet, dass das<br />

wechselseitige Verständnis vertieft und vielleicht auch Kategorien für eine größere theologische Annäherung<br />

dieser beiden monotheistischen Weltreligionen zu finden sein werden. Es bestehen viele<br />

Gemeinsamkeiten und ein Hauptunterschied im christlichen Bekenntnis zur Trinität bzw. Gottes-<br />

Sohnschaft Jesu mit entsprechenden Konsequenzen für das Gottesbild und das Menschenbild.<br />

Der theologisch vertiefte interreligiöse Dialog mit dem Islam scheint – über repräsentative Treffen<br />

und Friedensappelle hinaus – noch kaum begonnen zu haben. Eine sehr viel größere Herausforderung<br />

ist die gleichberechtigte theologische Diskussion mit Vertretern des Hinduismus oder des chinesischen<br />

Universalismus und noch höher gesteckt wäre das Ziel einer Verständigung mit dem Theravada-Buddhismus.<br />

6 Könnte hier überhaupt eine Annäherung erreicht werden, wenn weder an die Existenz<br />

Gottes noch an die Existenz einer ichhaften Person und Seele geglaubt wird?<br />

Ein weiterer Perspektivenwechsel wird angeregt: Im chinesischen Konfuzianismus und im Islam<br />

scheinen die grundlegenden Menschenpflichten Priorität zu haben und nicht die einzelne Person mit<br />

ihren individuellen Freiheitsrechten wie im Westen.<br />

Der Blick wird auch auf mögliche innere Zusammenhänge gelenkt. Fällt es vielleicht den Gläubigen,<br />

die dem entschiedensten Monotheismus, dem Islam, anhängen, deswegen psychologisch besonders<br />

schwer, einen Pluralismus der Religionen zu dulden? Und über Gottes Gesetzgebung hinaus auch<br />

individuelle Rechte und Freiräume oder sogar autonome allgemeine Menschenrechte zu akzeptieren?<br />

Wenn der orthodoxe Islam den ganzen Menschen umfasst, kann Religion nicht Privatangelegenheit<br />

sein. Ein Rückzug in die Innerlichkeit, d.h. der Übergang vom religiösen Leben in der Gemeinde zu<br />

einer privaten Religiosität ist vielleicht unmöglich.<br />

Wenn so grundverschiedene religiöser Bekenntnisse existieren, wird zwangsläufig der Wahrheitsanspruch<br />

jeder einzelnen Glaubensrichtung in Frage gestellt. Zugleich wird ermutigt, nach Gemeinsamkeiten<br />

zu suchen oder neue theologische und philosophische Kategorien zu entwickeln, in denen solche<br />

Widersprüche aufgehoben werden könnten. Wenn solche Versuche misslingen, bleibt für die inter-

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