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Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

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155 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

Es gibt eine klare Mehrheitsmeinung, denn angesichts der Realität des Negativen und Bösen in der<br />

Welt zweifeln 62 % der Studierenden entweder an der Allmacht oder an der Güte Gottes (oder dessen<br />

Existenz?). Der Widerspruch, der in der Bejahung aller drei Sätze liegt, wird nur von 23 % der Befragten<br />

toleriert. 9<br />

Aus der Sicht vieler Gläubiger wird diese Argumentation ganz und gar unsinnig erscheinen. Für<br />

das Geschehen des Bösen in der Welt könne nicht Gott verantwortlich gemacht werden, sondern nur<br />

die Menschen. Alle Menschen erhielten die Freiheit, zwischen Gut und Böse zu wählen. Deshalb liegt<br />

es ausschließlich an den sündigen Menschen, die sich nicht an das Moralgesetz halten. Darüber hinaus<br />

kann es grundsätzlich abgelehnt werden, dass mit menschlicher Logik und in blasphemischer Weise,<br />

versucht wird, die Existenz Gottes in Frage zu stellen. – Falls jedoch solche rationalen Schlussfolgerungen<br />

als völlig unangemessen hingestellt würden, könnten erhebliche Schwierigkeiten an anderer<br />

Stelle entstehen. Die Theologie würde ohne die Anerkennung der formalen Logik kaum weiterbestehen<br />

und könnte nur einer mystischen Haltung weichen. Das in theologisch-rationaler Weise nicht<br />

überwindbare Theodizee-Problem gehört zu den „Vernunftbrüchen“ der christlichen Glaubenslehre.<br />

Das Nachdenken über solche Widersprüche kann zur Gegenposition des Atheismus oder zur skeptischen<br />

Haltung des Agnostizismus führen.<br />

Gegenpositionen<br />

Atheismus<br />

Der unüberbrückbare Gegensatz von Gottgläubigkeit und Gottlosigkeit durchzieht die Kontroversen<br />

über <strong>Menschenbilder</strong> und wird sich in der Kontroverse über die letztgültige Begründung der Ethik<br />

fortsetzen.<br />

Atheismus ist die Überzeugung, dass der von Gottgläubigen behauptete Gott nicht existiert. Statt<br />

der üblichen Definition als Gottlosigkeit ist auch eine emanzipatorische Deutung möglich: der Mensch<br />

ist autonom und frei vom Einfluss mächtiger höherer Wesen. Die Ablehnung des Gottesglaubens kann<br />

unterschiedlich akzentuiert sein: die einfache und desinteressierte Verneinung, die philosophisch begründete<br />

Negation, der engagierte und dabei auch missionarische Atheismus und die verallgemeinernde<br />

anti-religiöse Haltung. Ein strenger Atheismus wird wahrscheinlich auch alle anderen übernatürlichen<br />

Phänomene, jede Transzendenz und das Numinose, d.h. göttlich-heilige Phänomene, negieren. Es<br />

gibt keinen außerweltlichen Gott, der die Welt und den Menschen erschaffen hat und lenkt. 10<br />

Für Gläubige ist der Atheismus kaum zu verstehen. Atheismus ist Gottesleugnung, ein Widerstand<br />

gegen Wort und Weisung des Schöpfers. Diese Unwilligkeit, auf Gott und die höchste Wahrheit<br />

zu hören, ist vollkommen unvernünftig und selbstzerstörerisch – eine Gotteslästerung und fundamentale<br />

Sünde. Offensichtlich gilt der Atheismus in großen Bereichen der öffentlichen Meinung, ganz im<br />

Sinne der im Katechismus enthaltenen Verurteilungen, als sehr problematische, negative und unmoralische<br />

Haltung. Die Intoleranz scheint wechselseitig und oft emotional zu sein: Wenn Gottlosigkeit als<br />

Morallosigkeit abgewertet wird, gilt Gottesglauben als Mangel an kritischer Vernunft und Aufklärung.<br />

Wie kann jemand nicht an Gott glauben und Gottesbeweise ablehnen, und dann fest an die Nichtexistenz<br />

Gottes glauben? Falls die spöttische Formel zutrifft, Atheisten würden besonders viel über<br />

Gott reden, könnte dies statt philosophischer auch psychologische Motive haben. Vielleicht nehmen<br />

einige der entschiedenen Atheisten diese Grundfrage nach einer höchsten Ursache des Weltgeschehens<br />

wirklich ernster als andere und setzen sich mit solchen Überzeugungen auseinander. Oder sie tragen<br />

an negativen Erfahrungen und Verletzungen aus der eigenen religiösen Erziehung. Viele Gläubige<br />

können sich nicht vorstellen, dass jemand ernsthaft ein Atheist sein kann und mag, denn dem Gottlosen<br />

fehlt, was ihn zum Menschen mache. Religion gehört zum Wesen des Menschen, so erklärte im<br />

Jahr 2006 z.B. der Wiener Kardinal König, und bezog sich auch auf Psychotherapeuten wie Jung,<br />

Frankl (ohne auf Freud oder Fromm einzugehen). Dem offensiv bekennenden Gottesglauben mit dem<br />

Willen zur Bekehrung der Andersdenken steht ein missionarischer Atheismus gegenüber, endlich die<br />

notwendige Aufklärung und Befreiung des Menschen zu erreichen. Daneben gibt es sicher auch eine<br />

„religionsfreundliche Gottlosigkeit“, wie es Johann Baptist Metz nannte.

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