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Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

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129 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

findet“ wiedergegebene Teil der Sure 8, 12 lautet bei Abdel Khoury: „So schlagt auf die Nacken und<br />

schlagt auf jeden Finger von ihnen.“ 3<br />

Der Islam und andere Religionen<br />

Der Islam ist eine eindeutig monotheistische Religion, die sich fundamental von den polytheistischen<br />

Religionen, aber auch vom Christentum abhebt. „Gott – es gibt keinen Gott außer Ihm, dem Lebendigen,<br />

dem durch Sich Selbst Ewigbestehenden!“ Den Juden und Christen wird zwar wegen ihres ebenfalls<br />

auf Offenbarung und auf eine heilige Schrift gestützten Glaubens eine Sonderolle zugebilligt,<br />

doch wird betont, dass sie das Wort Gottes falsch auslegen. Zwar soll es keinen Glaubenszwang geben,<br />

doch werden – je nach Land – christliche u.a. Religionsgemeinschaften in unterschiedlichem<br />

Ausmaß benachteiligt. Andererseits finden sich in der langen Geschichte des Islams – ähnlich wie in<br />

der christlichen Welt – herausragende Beispiele hoher Toleranz für Andersgläubige, u.a. unter Harunal-Raschid<br />

im 8. Jahrhundert oder bei dem indischen Kaiser Akbar dem Großen im 16. Jahrhundert.<br />

Aus orthodoxer Sicht provoziert der Abfall vom Glauben schwere Strafen, u. U. sogar die Todesstrafe.<br />

In Erinnerung ist noch die Fatwa des iranischen Ayatollah Khomeini mit dem Aufruf zur Tötung<br />

des Schriftstellers Salman Rushdie, der in seinem blasphemischen Buch Satanische Verse Gott<br />

gelästert und Mohammed geschmäht habe. Andere Religionsgelehrte betonen, dass solche Strafen erst<br />

beim Jüngsten Gericht durch Gott erfolgen.<br />

In der Verehrung des einzigen Gottes sehen islamische Religionsgelehrte ein höheres Niveau der<br />

Geistigkeit ohne jede Personifizierung oder gar bildliche Darstellung Gottes. Absolutheit und Transzendenz<br />

Gottes sind konsequent zu Ende gedacht. Aus dieser Sicht wird das zentrale christliche Dogma<br />

der Trinität und der Menschwerdung Gottes als polytheistisch bzw. als eine Verwischung der<br />

Grenzen von Gott und Mensch (Jesus als Sohn und wahrer Mensch zugleich) abgelehnt. Grundsätzlich<br />

gilt dies auch für die jenseits der Rationalität liegenden Dogmen von Erbsünde, Eucharistie, Jungfrauengeburt,<br />

Marien- und Heiligenkult sowie für eine hierarchisch gegliederte Kirche mit einem Klerus<br />

als Vermittler zu Gott (ausgenommen in der Schia). Der Prophet Mohammed ist ein heroisches Vorbild<br />

anstelle des leidenden und zweifelnden Christus. Koran und Sunna gewähren eine prägnantere<br />

Glaubensbasis als jene innerliche Zerrissenheit des Christentums mit seinen langen und immer wieder<br />

aufbrechenden theologischen Auseinandersetzungen der Kirchenväter, der Konzilien und Konfessionen<br />

sowie den Religionskriegen. Im Selbstverständnis vieler Muslime ist der Islam als „völlige Hingabe<br />

an den Willen Gottes“ die modernere Religion, durchgeistigter, klarer und konsequenter, auf einem<br />

höheren (ursprünglichen) Entwicklungsstand des Monotheismus, sittlich höher stehend, d.h. strenger<br />

in den sittlichen Anforderungen und der Entschiedenheit des religiösen Lebenswandels – im erlebten<br />

Gegensatz zur offensichtlichen Unmoral und Dekadenz vieler menschlicher Werte in den westlichen<br />

Demokratien.<br />

Von christlichen Theologen wie Hans Küng wird eine Korrektur des westlichen Bildes vom Islam<br />

verlangt. Im Sinne des Vaticanum II soll die frühere, oft sehr pauschal ablehnende oder vorurteilsvolle<br />

Haltung geändert werden, wobei neben den theologischen Unterschieden auch die vielen<br />

Gemeinsamkeiten genauer herauszuarbeiten wären: die christliche Nächstenliebe und die sozialen<br />

Tugenden des islamischen Menschenbildes, die Menschenliebe des christlichen Gottes und die Barmherzigkeit<br />

Allahs. Aus Küngs Sicht fehlt im Islam ein menschenfreundlicher, persönlich zugewandter<br />

und mitleidender Gott (eben Jesus Christus). Die christliche Liebe, deren Qualität und Radikalität,<br />

bilden ein Thema, das durchaus Analogien im Islam hat, nicht nur in der reinen Gottes- und Menschenliebe<br />

des Sufi. Ein wesentlicher Unterschied besteht wohl in dem unbedingten Gehorsam gegenüber<br />

den Korangesetzen und der durch Jesus von Nazareth gelehrten Freiheit, u.U. Gesetzesüberschreitungen<br />

zu begehen, wenn dies im Geiste Gottes geschieht. Küng hält es für wichtig, das Thema<br />

der Gewissensfreiheit aus Sicht beider Religionen gründlicher zu untersuchen, ebenso die wechselseitigen<br />

Missionierungen. Bisher werde der Islam von Islamwissenschaftlern oder christlichen Theologen<br />

geschildert, wo doch ein wirklicher Dialog künftig vor allem islamische Religionsgelehrte und auch<br />

islamische Kenner des Christentums einbeziehen müsse.<br />

Der Islam ist die jüngste der drei monotheistischen Weltreligionen, und Frieden bedeutet für<br />

Muslime Dominanz des Islam. Deshalb könnte der christlich-islamische Dialog auf Wunschdenken<br />

beruhen, denn das islamische Verständnis von Toleranz passe nicht in die pluralistische Moderne<br />

(Bassam Tibi). Die Gegenposition lautet: auch islamische Gesellschaften brauchen Demokratie, die

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