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Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

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202 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

passen. Von Albert Einstein ist überliefert, dass er nicht an einen persönlichen Gott glaubte, der die<br />

Gesetze der Physik außer Kraft setzt und sich mit den Handlungen der Menschen abgibt, sondern an<br />

„Spinozas Gott“, der sich in der gesetzlichen Harmonie des Seienden offenbart.<br />

Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn hat 2005 (angeblich mit Zustimmung des gegenwärtigen<br />

Papstes) vehement gegen den Darwinismus und gegen aktuelle kosmologische Theorien über multiple<br />

Universen Stellung genommen, all dies sei „erfunden worden, um die überwältigende Evidenz<br />

für Zweck und Planung (design) in der modernen Naturwissenschaft zu vermeiden“. Das Leben sei<br />

nicht ungeplant oder ziellos entstanden, als Vorgang zufälliger Veränderung und natürlicher Selektion<br />

– das sei wider die Vernunft. 12 Diese in amerikanischen Zeitschriften geäußerte Meinung des Kardinals<br />

stimmt überein mit dem in Umfragen erfassten Glauben an Kreationismus und intelligente Planung<br />

des Lebens (vgl. Kapitel 9) bei etwa der Hälfte der Amerikaner und mit der inzwischen auch<br />

nach Europa ausstrahlenden und reichhaltig finanzierten Propaganda eines Internationalen Theologischen<br />

Instituts (Mark Ryland), das die Lehre des Kreationismus verbreiten soll. In den Schulen, so<br />

wird gefordert, soll die biblische Naturkunde (Creation Science) gleichberechtigt neben der Evolutionstheorie<br />

unterrichtet werden.<br />

Die fundamentalen Überzeugungen sind in ihren Gegensätzen beeindruckend. Viele können die<br />

Entstehung der Natur und des Menschen nicht mehr als Tat eines Schöpfergottes sehen und wehren<br />

sich dann gegen „krude religiöse Schöpfungsmythen“. Katholische Philosophen wie Robert Spaemann<br />

halten dagegen, wer sein menschliches Selbstverständnis und Selbstsein nicht aufgeben wolle, müsse<br />

den Gedanken der Schöpfung und den Willen einer göttlichen Weisheit ins Spiel bringen. Einige Naturwissenschaftler<br />

glauben an einen Augenblick der Schöpfung, in dem ein (nicht unbedingt personal<br />

gedachter Gott) die Bedingungen setzte und die Entwicklung anstieß. Diese Überzeugungen werden in<br />

einer pluralistischen Welt nebeneinander bestehen können. Eine andere und problematische Überzeugung<br />

tut sich kund, wenn Kardinal Schönborn fundamentalistisch so verstanden wird, dass wissenschaftliche<br />

Befunde und Theorien nur so interpretiert werden sollen, wie es dem christlichen Dogma<br />

entspricht. Die fundamentalistische Religion würde dann zur höchsten Instanz aller Wissenschaften.<br />

Aus dieser Art von „totalitärer“ Sicht würde der Vatikan zur früheren Praxis zurückkehren, die empirischen<br />

Forschungsergebnisse zu bewerten und zu korrigieren.<br />

Hans Küng meint, dass in der deutschen Theologie im Gegensatz zum angloamerikanischen<br />

Raum noch ein erheblicher Nachholbedarf an Gesprächen zwischen aufgeklärter christlicher Theologie<br />

und Naturwissenschaften besteht. In seinem Buch Der Anfang aller Dinge geht es ihm nicht um<br />

Konfrontation oder Vereinnahmung, sondern um wechselseitige Ergänzung der Perspektiven im Sinne<br />

des Sowohl-als-Auch. Küng räumt ein, dass die Religionskritik von Ludwig Feuerbach, Karl Marx<br />

und Sigmund Freud durchaus recht hatte: Religion als Projektion, als Opium, als Illusion. Diese Kritik<br />

habe wesentliche Mängel der christlichen Lehre bzw. der Kirchen getroffen. Der grundsätzliche Fehler<br />

sei die Schlussfolgerung und Verallgemeinerung im „ nichts anderes als ...“. Der Atheismus sei jedoch<br />

letztlich unbegründet.<br />

Küng strebt keine schlichte Konvergenz oder wechselseitige Begrenzung an, sondern stellt Fragen<br />

nach dem Warum, nach dem Ziel jenseits der naturwissenschaftlichen Kausalerklärungen des Faktischen.<br />

Auf diesem Wege kann die Bibel nicht wörtlich verstanden werden, sie muss vielmehr aus<br />

dem heutigen Wissen interpretiert werden. Zentrale Themen sind Anfang der Schöpfung und Urknall,<br />

Schöpfung oder Zufall und Notwendigkeit der Evolution, Menschwerdung, Leben im Kosmos, Ende<br />

aller Dinge. Die schwierigsten Fragen, d.h. die Entstehung des Bewusstseins in der Evolution, die<br />

Begründung der Willensfreiheit oder die Theodizee, werden jedoch von ihm kaum so zugespitzt, wie<br />

es möglich wäre. 13<br />

Vernunftbrüche<br />

Die christliche Lehre ließ die größte der Weltreligionen entstehen. Auch die Andersgläubigen werden<br />

dies mit Respekt sehen können und vielleicht geneigt sein, diesen Erfolg der Mission mit dem Inhalt<br />

und der Kraft des Glaubens zu erklären. Aber ist es wirklich eine Einheit von Glauben und Vernunft?<br />

Die Dogmen von der Gottes-Sohnschaft Jesu, das Mariendogma, die Erbsünde, die leibliche Auferstehung,<br />

Jüngstes Gericht und ewige Verdammnis, der Glauben an Engel und Dämonen bis zur Unfehlbarkeit<br />

theologischer Entscheidungen, enthalten viele fundamentale Denkschwierigkeiten und Postulate,<br />

die für die drängende kritischen Vernunft rational unzugänglich und unerforschlich bleiben. Imma-

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