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Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

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171 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

jeden Einzelnen ausgesprochen werden. Dies sei angesichts des schlimmsten Geschehens im 20. Jahrhundert<br />

und des bedrohlichen „Zusammenstoßes der Kulturen“ unerlässlich.<br />

„Wir Bürger haben nicht nur Rechte zur Abwehr fremder Willkür, sondern ebenso Pflichten und Verantwortlichkeit<br />

gegenüber unseren Mitmenschen. Keine Demokratie und keine offene Gesellschaft<br />

kann auf Dauer Bestand haben ohne das doppelte Prinzip von Rechten und Pflichten.“ (Helmut<br />

Schmidt, 1998, Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten. Ein Vorschlag, 1998). 13<br />

Die Initiative des InterAction Council wurde von einigen Kritikern als weitgehende Wiederholung<br />

der bestehenden Konventionen angesehen. Dagegen sehen andere, z.B. der Theologe Küng, eine<br />

Stärkung der Initiativen zu einem „Weltethos“. Nicht alle Pflichten folgen direkt aus den Menschenrechten,<br />

u.a. die Gewissens-, Liebes- und Humanitätspflichten „des Herzens“. Küng meint wohl Nächstenliebe,<br />

Mitleid, soziales Engagement und andere Tugenden.<br />

Der Begriff der Menschenpflichten könnte noch umfassender und konkreter verstanden werden.<br />

So muss eine globale Sicht nicht nur auf Armut und Krieg, sondern auch auf die fortschreitende Zerstörung<br />

der Erde ausgeweitet werden. Der drohenden Selbstvernichtung durch den verschwenderischen<br />

und rücksichtlosen Lebensstil insbesondere der reichen Nationen entgegenzuwirken, sei ebenfalls<br />

eine Menschenpflicht. Aus dieser Überzeugung engagieren sich viele Menschen in den Nicht-<br />

Regierungs-Organisationen NGOs. Direktes und vorbildliches Engagement beweist die Tätigkeit von<br />

amnesty international für die Menschenrechte. 14<br />

Die UNO hatte nach dem Katalog der Menschenrechte (vor allem der bürgerlichen und politischen<br />

Rechte) zwei weitere Vertragstexte 1976 in Kraft gesetzt: über wirtschaftliche Rechte (u.a. Arbeit,<br />

Gewerkschaften, soziale Sicherheit), soziale Rechte (Schutz der Familie, insbesondere Frauen<br />

und Kinder, angemessener Lebensstandard, Gesundheit) und kulturelle Rechte (Recht auf Bildung,<br />

Teilnahme am kulturellen Leben). Die Menschenrechts-Debatte in den westlichen Industrieländern<br />

scheint vor allem (und oft als einseitig gerichtete Kritik an die Entwicklungsländer) durch die Forderung<br />

nach individuellen Freiheits- und Bürgerrechten geprägt zu sein, ohne gleichermaßen die wirtschaftlichen<br />

und sozialen Rechte zu betonen. Die UNO hat in ihrem sog. Milleniumsprogramm gefordert,<br />

bis zum Jahr 2015 weltweit Hunger und Armut nachhaltig zu halbieren.<br />

Definitionsversuche<br />

Die zentrale Stellung des Begriffs Menschenwürde im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland<br />

von 1949 wird als eine Reaktion auf die fundamentalen Rechtsbrüche im nationalsozialistischen Staat<br />

verstanden. Die Menschenwürde und die Menschenrechte sollten durch etwas außerhalb der verfügbaren,<br />

d.h. veränderbaren, staatlichen Rechtsordnung überdauernd fixiert werden. Erst in jüngster Zeit<br />

taucht der Begriff häufiger in öffentlichen Diskussionen auf, wobei erneut – wie in der Beratung des<br />

Grundgesetzes – Menschenwürde entweder in einer säkularen oder in einer theologischen Fassung<br />

verstanden wird. Beide Seiten sehen in der Menschenwürde ein Axiom, eine nicht weiter reduzierbare<br />

oder aus anderen Erkenntnissen ableitbare Feststellung. Dies schließt nicht aus, dass der Begriff mit<br />

philosophischen und psychologischen Argumenten interpretiert werden kann.<br />

Ist Menschenwürde vor allem ein schönes Wort für Sonntagsreden, eine „Illusion Menschenwürde“,<br />

wie Franz Josef Wetz fragt? Manche Rechtswissenschaftler haben es vorgezogen, den Begriff<br />

Menschenwürde nicht genauer definieren zu wollen, weil andernfalls die Zustimmung schwerer fallen<br />

könnte. Deswegen bleibt ein großer Auslegungspielraum, der nicht-religiös (laizistisch) oder theologisch<br />

gefüllt werden kann. Die Kulturgeschichte des Begriffs Menschenwürde vermittelt ein sehr widerspruchsvolles<br />

Bild. „Gesucht wird eine gut begründete, allgemeingültige Bestimmung der Würdeidee,<br />

die dem Pluralismus des modernen Staates wie der multikulturellen Weltöffentlichkeit gerecht<br />

wird.“ 15 Kann überhaupt ein operationalisierbares, d.h. in eine genaue Rechtspraxis umsetzbares Konzept,<br />

erwartet werden?<br />

Émile Durkheim, der Gründervater der empirischen Soziologie am Ende des 19. Jahrhunderts,<br />

meinte, dass der Glaube an die Menschenrechte die konsensfähige „Religion“ einer modernen individualisierten<br />

Welt ist. Den mühseligen Weg zu diesem Ziel lässt Küngs Formulierung erkennen: „Sollte<br />

es nicht möglich sein, mit Berufung auf die gemeinsame Menschlichkeit aller Menschen ein allgemein-ethisches,<br />

ein wahrhaft ökumenisches Grundkriterium zu formulieren, das auf dem Humanum,<br />

dem wahrhaft Menschlichen, konkret auf der Menschenwürde und den ihr zugeordneten Grundwerten<br />

beruht?“ 16

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