30.12.2012 Aufrufe

Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

75 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

wohl es noch Erklärungslücken gibt und Charles Darwin nicht in allen Details recht behielt. Der Prozeß<br />

der biologischen Evolution wird heute – mit wenigen Ausnahmen – von allen Naturwissenschaftlern<br />

als Tatsache angesehen. Die wichtigste Erklärungshypothese ist das Prinzip der natürlichen Selektion.<br />

Die Individuen einer Population (Art) unterscheiden sich mehr oder weniger in ihren Genkombinationen,<br />

und die natürliche Variabilität begünstigt je nach den Umweltbedingungen unterschiedliche<br />

Fortpflanzungshäufigkeiten. Meinungsverschiedenheiten bestehen, ob dieses Prinzip der natürlichen<br />

Selektion ausreicht oder ob ergänzende Erklärungshypothesen notwendig sind, um die Entstehung<br />

neuer Arten zu verstehen. Die große Mehrzahl der Biologen akzeptiert, dass die Evolution nicht auf<br />

ein Ziel, auf Perfektion oder Schönheit zuläuft, sondern ein „blinder“, planloser und unvorhersagbarer<br />

Prozeß ist.<br />

Nach christlichem Dogma ist der Mensch – der Genesis des Alten Testaments zufolge – durch<br />

Gott geschaffen worden. Nach einer bibeltreuen Rückrechnung wäre der Schöpfungsakt vor ca. 6000<br />

Jahren geschehen (nach jüdischer Zeitrechnung im Jahr 3760). Die Schöpfungslehre, die an dem<br />

Ereignis des Schöpfungsaktes vor wenigen Jahrtausenden festhalten will, wird als Kreationismus bezeichnet:<br />

„Gott hat den Menschen genauso geschaffen, wie es in der Bibel steht.“ Diese Auffassung<br />

hat, wie zu lesen ist, durchaus Anhänger, auch im amerikanischen Schulwesen und in der breiten Öffentlichkeit,<br />

ist jedoch durch die Ausgrabungen der Paläo-Wissenschaftler längst widerlegt. Die riesige<br />

Kette der Übergangsformen fossiler Funde kann nicht nur ein Relikt der einmaligen biblischen<br />

Sintflut sein.<br />

Erst im Jahr 1996 hat der Papst Johannes Paul II. in einer Botschaft an die Päpstliche Akademie<br />

der Wissenschaften zögernd erklärt, Darwins Lehre vom Ursprung der Arten und der Abstammung des<br />

Menschen sei „mehr als eine Hypothese“ und sei mit dem christlichen Glauben vereinbar. Der Körper<br />

verdanke seine Existenz der Evolution, beseelt werde er unmittelbar durch Gott. Es bleibt folglich eine<br />

Glaubenswahrheit, dass die Geistseele, welche die personale Würde des Menschen begründet, nicht<br />

einfach eine Ausformung der belebten Materie ist. Der Mensch ist auf Erden die einzige von Gott um<br />

ihrer selbst gewollte Kreatur (Enzyklika Gaudium et spes).<br />

Unter dem Druck der Tatsachenbeweise haben die großen Kirchen ihren Widerstand weithin aufgegeben<br />

und sehen in den religiösen Schöpfungslehren metaphorische Deutungen. Dagegen beharren<br />

protestantische Fundamentalisten auf dem Wortlaut der biblischen Genesis. Im Grundsatz halten alle<br />

monotheistischen Religionen am einmaligen göttlichen Schöpfungsakt fest, d.h. an der absichtsvollen<br />

Schöpfung des Lebens aus dem Nichts bzw. aus dem Chaos. Andererseits bezieht sich die Evolutionstheorie<br />

nur auf die nachfolgende Entwicklung des Lebens und sagt nichts über dessen primäre Entstehung<br />

aus.<br />

Die Entstehung des Lebens „durch Zufall“ widerspricht dem monotheistisch geprägten Schöpfungsglauben<br />

zutiefst. Dies gilt umso mehr für die Experimente zur Entwicklung künstlichen Lebens.<br />

Aus christlicher Sicht ist es eine unüberbietbare Anmaßung und Vermessenheit, denn durch das Schaffen<br />

von organischem Leben aus Molekülen wird eine Schöpferrolle angestrebt. Es wird also das betrieben,<br />

was nach christlichem Glauben zum ersten Sündenfall und zur Vertreibung aus dem Paradies<br />

führte, d.h. durch rationale Erkenntnis wie Gott zu werden (eritis sicut deus). Zwar geht es noch nicht<br />

um die künstliche Erschaffung des Menschen wie diejenige des Homunculus in Goethes Faust, sondern<br />

um die allerersten Anfänge. Ohne Zweifel wäre vor nicht allzu langer Zeit eine Forschung mit<br />

der Absicht, Leben herzustellen, aus kirchlicher Sicht eine strafwürdige Untat gewesen. Dieser Erkenntnisdrang<br />

und der wissenschaftlich noch utopische Wunsch, sich letztlich vielleicht selbst herstellen<br />

zu können, durch Klonen oder durch die Methoden der Artificial-Life-Forschung, scheinen tief im<br />

Menschen zu wurzeln.<br />

Eine neue theologische Interpretation der Schöpfungsgeschichte scheint unausweichlich zu sein.<br />

Der Schöpfungsakt könnte, wenn nicht zum biblischen Termin, so doch zu der Zeit geschehen sein, als<br />

organische Moleküle erstmals ein replikationsfähiges System bildeten. Oder es gab eine spezielle<br />

Schöpfung des Menschen: Entweder vor einigen Millionen Jahren bei der evolutionären Trennung<br />

unserer Art von den Menschenaffen oder später, vor vielleicht 200.000 Jahren als sich der neuzeitliche<br />

Mensch herausbildete. Der Schöpfungsakt könnte aktuell immer wieder während der embryonalen<br />

Entwicklung geschehen, indem durch die eigentümliche Hinzugabe einer besonderen, geistigseelischen<br />

Qualität der Mensch in seiner einmaligen Sonderstellung unter den Lebewesen geschaffen<br />

wird. Nach heutiger offizieller Lehrmeinung der Katholischen Kirche erhält die Eizelle im Augenblick

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!