Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
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95 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />
Das konservative und christlich geprägte Menschenbild wird in typischer Weise durch das Grundsatzprogramm<br />
der CSU in Bayern aus dem Jahr 1993 repräsentiert, wie das folgende Zitat zeigt:<br />
„Die CSU begründet ihre Politik und ihr Selbstverständnis aus der Verantwortung vor Gott und gegenüber<br />
dem Nächsten. Das Recht auf Leben und die Würde des Menschen sind ihre Leitbilder. Auf<br />
christlicher Grundlage entwickelt sie schöpferische Kraft für die Gestaltung des politischen Lebens<br />
und erhält die Motivation zum Einsatz für die Schöpfung, für Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit. Die<br />
CSU geht vom christlichen Menschenbild und von der christlichen Wertordnung aus.“ (www.csu.de))<br />
Soziale Privilegien und Benachteiligungen<br />
Zur gesellschaftspolitischen Perspektive gehört unbedingt der nüchterne Blick auf die sozialen Ungleichheiten.<br />
Auch in der demokratisch-bürgerlichen Gesellschaft sind soziale Schichten bzw. Klassen<br />
vorhanden; sie ergeben sich aus den unterschiedlichen Vermögen und Einkommen sowie der beruflichen<br />
Tätigkeit und wirken sich auf die politischen Machtverhältnisse aus. Die Unterschiede des Lebensstandards<br />
und der Schul- und Berufsbildung sind wohl am auffälligsten, es gibt außerdem typische<br />
Einstellungen und Verhaltensmuster sowie viele weitere Unterschiede einschließlich Krankheitshäufigkeit<br />
und Lebenserwartung. Die sozialwissenschaftliche Forschung befasst sich mit dem statistischen<br />
Zusammenhang dieser sog. Sozialindikatoren und mit den sozialpsychologischen Erklärungsversuchen<br />
des sozialen Ab- und Aufstiegs oder mit allgemeinen Trends wie der zunehmenden Vermögenskonzentration<br />
bei den Wohlhabenden.<br />
Weshalb einzelne Angehörige der Unterschicht oder einzelne Immigranten sozial mobil sind, d.h.<br />
Bildungschancen und Verdienstchancen nutzen können, andere aber nicht, hängt zweifellos von vielen<br />
Bedingungen ab. Die Gleichheit der Bildungschancen ist eine Abstraktion, denn in der gesellschaftlichen<br />
Wirklichkeit unterliegt sie vielen Einschränkungen. Außer den individuellen Fähigkeiten und<br />
Motiven, der Ausdauer und der Erfolgserwartung, werden das soziale Umfeld, die Vorbilder, die Fördermöglichkeiten<br />
und die aktuellen Chancen eine wichtige Rolle spielen. Andererseits werden Rückschläge<br />
und Misserfolge, die Erfahrung unzureichender Fähigkeiten oder Krankheiten das Selbstvertrauen<br />
so beeinträchtigen, dass sich eine mutlose, resignierende Einstellung ausbildet. Das individuelle<br />
Menschenbild wird gewiss wesentlich davon geprägt, wie diese sozialen Unterschiede erlebt und gedeutet<br />
werden. Für viele Menschen könnte dieser Bereich weitaus wichtiger sein als abstrakte Fragen<br />
nach dem Sinn des Lebens oder nach Religion.<br />
Im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik wird nicht selten mit fiktiven <strong>Menschenbilder</strong>n<br />
operiert. Eines dieser Zerrbilder ist der homo oeconomicus der herkömmlichen Markttheorie der Volkswirtschaftler.<br />
Dieser Menschentyp entscheidet sich ausschließlich nach seinen materiellen Vorteilen,<br />
d.h. nach seiner Profitmaximierung bzw. Absicherung der Marktgewinne. Es hat lange gedauert bis<br />
aus den ökonomischen Krisen und Konjunkturzusammenbrüchen gelernt wurde, dass der Markt noch<br />
von vielen anderen, auch psychologischen Effekten beeinflusst wird.<br />
Ideologie und Ideologiekritik<br />
Als Ideologie wird ein System von zusammenhängenden Ideen, meist im politischen und sozialen<br />
Bereich, bezeichnet. Im Sprachgebrauch klingt die Bewertung mit, dass es sich um ein unzutreffendes,<br />
irriges oder weltanschaulich einseitiges Denken handelt. Es geht primär um Säkulares, um die diesseitigen<br />
Verhältnisse von Gesellschaft und Kultur, nicht um religiöse Bekenntnisse. Das Wort Ideologie<br />
wird oft mit einem polemischen Unterton verwendet und soll den überheblichen Anspruch auf das<br />
Wahrheitsmonopol abwehren. Bereits bei den Kontroversen über Freud und Skinner waren die Begriffe<br />
Ideologie und Ideologiekritik gefallen.<br />
Aus marxistischer Sicht heißt Ideologie so viel wie falsches Bewusstsein von den tatsächlichen<br />
Verhältnissen; das Denken vermag die Wirklichkeit nicht zu erfassen, sondern bleibt einer bestimmten<br />
Klassenlage und Machtinteressen verhaftet. Der Marxismus-Leninismus sieht sich zwar ebenfalls als<br />
Ideologie, jedoch mit dem richtigen Bewusstsein, denn er beruht auf der wissenschaftlich begründeten<br />
Erkenntnis der Gesellschaft und der Einsicht in den notwendigen Gang der Geschichte. Nach diesem<br />
Selbstverständnis muss der Marxismus-Leninismus geradezu die klassenbewusste Parteilichkeit und<br />
das politisch-gesellschaftliche Engagement für die Benachteiligten fordern. Im Grunde ist hier die<br />
allgemeingültige Forderung nach Ideologiekritik und Aufklärung enthalten, jedoch einseitig, unter<br />
Aussparung der eigenen Position und der totalitären Machtverhältnisse.