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Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

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183 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

jedoch vertagt. Wenn der Innenminister Schäuble feststellt, dass der Islam Teil der deutschen Gesellschaft<br />

ist, besteht ein klarer Selbstwiderspruch zu der Nicht-Anerkennung der islamischen Religionsgemeinschaften<br />

als Körperschaft öffentlichen Rechts. – Kardinal Lehmann hat sich jüngst in einem<br />

Vortrag vor den höchsten Richtern in Karlsruhe gegen ein gleiches Recht für christliche Kirchen und<br />

Muslime ausgesprochen. Wegen der prägenden Rolle des Christentums in Europa möchte er den islamischen<br />

Gemeinschaften den Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft nicht ohne weiteres<br />

zuerkannt sehen. Dieser Körperschaftsstatus sichert Kirchen das Recht, Steuern zu erheben und Religionsunterricht<br />

an öffentlichen Schulen zu erteilen. – Mit dieser klaren Forderung, die christlichen<br />

Kirchen zu bevorzugen bzw. deren Privilegien zu erhalten, stellt der Kardinal die Trennung von Kirche<br />

und Staat in Frage. Es könnte sein, dass gerade die angesprochenen Richter künftig zwischen dem<br />

Anspruch auf Privilegien und dem Gleichheitsgrundsatz der Verfassung abzuwägen haben. 14<br />

Als Privilegien-Bündel der Kirchen werden mehrere rechtliche Vorteile der etablierten Kirchen<br />

bezeichnet. Das Grundgesetz garantiert die Steuerfreiheit. Darüber hinaus sind an anderer Stelle wichtige<br />

Einzelrechte zuerkannt, u.a. Mitspracherechte in Gremien (z.B. Rundfunkrat), Vergünstigungen<br />

bei Abgaben, besonderer strafrechtlicher Schutz für Titel und Amtsbezeichnungen, Rücksichten bei<br />

Bauplanung und Denkmalschutz. Der staatliche Einzug der Kirchensteuer garantiert ein gleichmäßiges<br />

und spendenunabhängiges Finanzaufkommen, es gibt staatliche Zuschüsse für viele soziale, schulische<br />

und kirchliche Zwecke, Subventionierungen wie den Unterhalt der Theologischen Fakultäten und<br />

Lehrstühle mit der unentgeltlichen Ausbildung der Religionslehrer und Pfarrer an den Universitäten<br />

und vieles andere mehr. Der Transfer aus Steuermitteln wird auf mehrere Milliarden Euro im Jahr<br />

geschätzt, wobei die von den Kirchen getragenen Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser ohnehin ganz<br />

überwiegend aus den allgemeinen Steuern und nur zu einem kleinen Anteil aus der Kirchensteuer finanziert<br />

werden. Den kirchlichen Haushaltsplänen sind die wesentlichen Informationen über die Subventionen<br />

auch heute nicht zu entnehmen. Darüber hinaus verzichtete der Staat wegen der steuerlichen<br />

Absetzbarkeit der Kirchensteuer z.B. 2004 auf weitere 3,7 Milliarden Euro. 15<br />

Diese Zuwendungen gelten als selbstverständlich. Dass es sich um Relikte der Staatskirchen-<br />

Verfassung handelt, ist auch daran zu erkennen, dass sie etwa in Frankreich oder in den USA in dieser<br />

Weise undenkbar wären. Beide Demokratien praktizieren eine wesentlich strengere, wenn auch nicht<br />

absolute Trennung von Kirche und Staat. So wird in den USA allen als Kirche anerkannten Glaubensgemeinschaften<br />

Steuerfreiheit zugebilligt. Dieses Privileg wird von Hunderten von religiösen Gemeinschaften<br />

gleichberechtigt genutzt, wobei es u.U. zu einer Verflechtung von Glaubensgemeinschaft und<br />

Wirtschaftsunternehmen kommt.<br />

Ersetzt Ethik die Religion?<br />

„Ethik verdrängt Religion“, „Ethik und Lebenskunde brechen das Wertemonopol der Konfessionen“,<br />

unter diesen Überschriften wurde über neue Schulgesetze in Berlin und Brandenburg berichtet. In<br />

anderen Bundesländern ist christlicher Religionsunterricht durch staatlich geprüfte konfessionelle Lehrer<br />

(in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften) ein Pflichtfach, aus dem<br />

andersgläubige Schüler abgemeldet werden können; sie müssen das Ersatzfach „Ethik“ bzw. „Philosophie“<br />

wählen. In einigen großstädtischen Schulklassen nahmen bis zu 70 % der Schüler nicht mehr am<br />

Religionsunterricht teil. Statt hier weiterhin nur den Alternativunterricht anzubieten, schien es ein<br />

pädagogischer Ausweg zu sein, einen religionsneutralen Ethikunterricht für alle zur Pflicht zu machen,<br />

zugleich sollte der konfessionelle Religionsunterricht nur noch als Wahlmöglichkeit bestehen bleiben.<br />

Ein besonderes Motiv war der angemessene und integrative Unterricht für muslimische Kinder, die in<br />

der Schule bisher keinerlei Religionsunterricht erhielten, denn erst seit kurzem gibt es Projekte dieser<br />

Art, u.a. in Nordrhein-Westfalen.<br />

Das neue Fach Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde LER unterrichtet seit 1992 über grundsätzliche<br />

Fragen der Moral und der Menschenrechte und gibt der Darstellung der großen Weltreligionen<br />

breiten Raum. Auch der frühere Religionsunterricht wird hierzu Informationen vermittelt haben,<br />

doch wahrscheinlich unter dem Wahrheitsanspruch der christlichen Lehre. Gegen diesen Gesetzesentwurf<br />

gab es breiten Widerstand: es sei die Aufgabe des christlichen Religionsunterrichtes, zur Auseinandersetzung<br />

mit den Sinnangeboten des christlichen Glaubens und zu einem eigenen Standpunkt zu<br />

befähigen, es sollten also nicht „unterschiedliche, in sich gleichrangig beurteilte Sinnentwürfe vor den<br />

Schülern Revue passieren.“ Die Religionen sollten nicht in multikultureller Vielfalt besichtigt und

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