Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
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112 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />
zuführen. Ein theologischer Pluralismus im Lehramt, eine bibelkritische Diskussion über die Dogmen<br />
und über die relative Wahrheit historisch mehr oder minder wahrscheinlicher Textstellen der Offenbarung<br />
würde großen geistigen Schaden verursachen. Diese Auffassung wurde in dem Dekret Domine<br />
Jesu bestätigt, das unter Leitung Ratzingers entstand. „Die immerwährende missionarische Verkündigung<br />
der Kirche wird heute durch relativistische Theorien gefährdet, die den religiösen Pluralismus<br />
nicht nur de facto, sondern auch de jure (oder prinzipiell) rechtfertigen wollen.“<br />
Hatten die Reformer wirklich erwartet, dass jetzt der gesamte Dogmenbestand der christlichen<br />
Lehre auf den Prüfstand der innerkirchlich-theologischen Aufklärung kommen sollte, mit der wahrscheinlichen<br />
Folge einer abnehmenden Akzeptanz für Dogmen? Wäre dann nicht der katholische<br />
Glauben schließlich nur eine Variante unter anderen und vielleicht nur eine unvollkommene Glaubenslehre<br />
in Konkurrenz zu anderen Religionen? Für Ratzinger waren vermutlich auch die tiefen Auseinandersetzungen<br />
in der Evangelischen Kirche Deutschlands ein warnendes Beispiel.<br />
In der öffentlich sehr aktiven Bewegung „Kein anderes Evangelium“ hatten sich Ende der 1960er<br />
Jahre engagierte Anhänger des traditionellen Christentums, Gemeindepastoren und auch Theologie-<br />
Professoren zusammengefunden, um vor allem der Theologie von Rudolf Bultmann entgegenzutreten.<br />
3 Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Leben-Jesu-Forschung wurden erbittert abgelehnt und u.a.<br />
1966 in großen Jesus-Kundgebungen als Irrlehre bekämpft („Er ist wahrhaftig auferstanden“). Sie<br />
waren erschüttert von der Leere, die sich auftat, wenn Kernaussagen des Glaubens nicht mehr wörtlich,<br />
sondern nur noch „existenziell“ interpretiert wurden. Bultmann hatte u.a. gelehrt: „Jesus begegnet<br />
uns nur im Wort der Verkündigung, nirgends sonst“.<br />
Anspruch des christlichen Menschenbildes<br />
Die Psychotherapeuten, deren <strong>Menschenbilder</strong> zuvor geschildert wurden, wollten ihre Überzeugungen<br />
aus ihren Berufserfahrungen und ihren wissenschaftlichen Arbeiten begründen. Viele von ihnen brachen<br />
mit ihrer religiösen Erziehung. Statt tradierter Glaubenslehre sollte ein emanzipiertes, durchaus<br />
auch wissenschaftlich entwickeltes Menschenbild gelten. Demgegenüber hat ein Menschenbild, das<br />
aus der Offenbarung Gottes abgeleitet ist, eine völlig andere Verfassung. Es sind Glaubenswahrheiten.<br />
Christliche Anthropologie ist hier wesentlich Theologie. Im Unterschied zu allen säkularen, d.h. nichtreligiös<br />
begründeten <strong>Menschenbilder</strong>n, hat diese christliche Lehre vom Menschen eine Legitimation<br />
durch Gott. Dies begründet einen herausragenden Anspruch auf Wahrheit und Verbindlichkeit – oft<br />
auch als Überlegenheit dieses Menschenbildes im Vergleich zu allen anderen Religionen und Weltanschauungen<br />
verstanden.<br />
Manche Aspekte des hier nur kurz geschilderten christlichen Menschenbildes wirken abstrakt<br />
und theologisch, denn es handelt sich um sehr allgemeine Bestimmungen. Weitaus lebensnäher wäre<br />
es, auf der Ebene der ethischen Normen die „christlichen Werte“ zu erläutern und vielleicht auch von<br />
den ethischen Normen anderer Religionen und Morallehren zu unterscheiden. Der Katechismus enthält<br />
dazu kein geeignetes Stichwort, denn die Erläuterungen von Gesetz, Sittlichkeit, Sünden und Tugenden<br />
betreffen nicht das Gemeinte. An zentraler Stelle wird jedoch auf die universale Goldene Regel<br />
verwiesen. (Kapitel 19 und ).<br />
Nur die positive Sichtweise?<br />
In der Verkündigung, in den Gottesdiensten und in den kirchlich geprägten Medien stehen die „frohe<br />
Botschaft des Christentums“ und der menschliche Gewinn durch den gelebten Glauben im Mittelpunkt.<br />
Zugunsten dieser frohen Botschaft mit den positiven, ermutigenden und moralischen Appellen<br />
scheinen andere Grundzüge des Menschenbildes zu verblassen: u.a. Existenz des Bösen, Schuld und<br />
Strafe, Rechtfertigung vor Gott, ewige Verdammnis, d.h. die schlimme Botschaft.<br />
Bußpredigten sind heute selten geworden. Insofern scheinen im öffentlichen Menschenbild des<br />
Christentums einige jener Themen zu fehlen, die noch vor wenigen Generationen wichtig waren.<br />
Höchstens in existenziellen Notsituationen oder bei extremen Natur-Katastrophen wird heute noch<br />
nach der Absicht Gottes gefragt. Oft wird dann der unerforschliche, d.h. für den Menschen unverständliche<br />
Sinn dieses Geschehens festgestellt. Vom strafenden Gott, von Gott als Richter, dessen<br />
Gnade und Vergebung keinesfalls jedem Menschen gewiss sein können, von Gottesfurcht oder ewiger<br />
Verdammnis wird nur noch selten gesprochen.