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Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

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118 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

Was ist aber, Brüder, die heilige Wahrheit von der Leidensauflösung? Es ist ebendieses Durstes<br />

vollkommen restlose Auflösung, ihn abstoßen, austreiben, fällen, vertilgen. Das heißt man, Brüder,<br />

heilige Wahrheit von der Leidensauflösung. ...<br />

Was ist aber, Brüder, die heilige Wahrheit von dem zur Leidensauflösung führenden Pfade? Dieser<br />

heilige achtfaltige Weg ist es, der zur Leidensauflösung führende Pfad, nämlich rechte Erkenntnis,<br />

rechte Gesinnung, rechte Rede, rechtes Handeln, rechtes Wandeln, rechtes Mühen, rechte Einsicht,<br />

rechte Einigung.“<br />

(Die Reden Gotamo Buddhos, Mittlere Sammlung, aus dem Pali übertragen von K. E. Neumann,<br />

Dhamma-Cakkappavanttana-Suttam bzw. Saccavibhanga-Suttam, Majjhima-Nikaya). 2<br />

Diese Rede wurde vor 2500 Jahren gehalten. Sie fordert eine radikale Abkehr von einigen Glaubensinhalten<br />

des im Indien jener Zeit herrschenden Brahmanismus, wie er in den älteren Upanishaden<br />

überliefert ist (und im Prinzip auch vom heutigen Hinduismus in der Nachfolge des Brahmanismus).<br />

Neu waren vor allem zwei fundamentale Aussagen: die Lehre vom Nicht-Ich (Anatta) und vom Ausstieg<br />

aus dem Kreislauf der Wiedergeburt und dem Erreichen des Nirvana. Beide sind für jemanden,<br />

der sie zum ersten Mal hört, fremdartig – so selbstverständlich sie auch für Menschen der buddhistischen<br />

Kulturwelt sind.<br />

Prinz Siddhattha Gotama lebte vor ca. 2500 Jahren im östlichen Nordindien und starb der Überlieferung<br />

zufolge 486 Jahre vor Beginn der christlichen Zeitrechnung im 80. Lebensjahr. Gotama hatte<br />

seine Familie verlassen, lange Jahre in extremer Askese verbracht und diese schließlich zugunsten des<br />

mittleren Weges zwischen Selbstkasteiung und weltlichem Leben aufgegeben. Von dieser Erfahrung<br />

des Erwachens aufgrund einer Selbstanalyse berichtete der Erwachte (Buddha) oder Tathagata (der so<br />

Gegangene) fünf Asketen, die dann seine ersten Schüler wurden. Die vier edlen Wahrheiten und der<br />

Achtfache Pfad können als der Kern wohl aller buddhistischen Richtungen bzw. Schulen angesehen<br />

werden (im Westen als Buddhismus bezeichnet). Hier wird nur eine Skizze der ursprünglichen indischen<br />

Buddha-Lehre gegeben, wie sie in Südost-Asien als Theravada-Buddhismus, d.h. Lehre der<br />

Ordensältesten, noch überdauert hat.<br />

Lehre vom Karma und der bedingten Entstehung<br />

Für die noch ältere Religion Indiens, den Brahmanismus, war die Lehre vom Karma und die Kosmologie<br />

der zyklischen Wiederkehr grundlegend. Das individuell überdauernde Seelenprinzip (atman)<br />

folgt diesem Weltgesetz. Gute Taten verbessern, schlechte Taten verringern die Wahrscheinlichkeit<br />

einer Wiedergeburt in günstigere Lebensverhältnisse. Diese Vergeltungskausalität (Gesetz von Ursache<br />

und Wirkung im Leben, samsara) soll keine fatalistische Reaktion auslösen, „dies ist mein Karma“,<br />

sondern ein ethisches Fortschreiten im Kreislauf der Wiedergeburten.<br />

Buddha lehrte im scharfen Gegensatz, dass in diesem Prozess nur unterschiedliche und vergängliche<br />

Daseinsfaktoren, aber kein wirkliches Ich existiert. Karma wird als der lebensbejahende, die<br />

Wiedergeburt erzeugende Wille verstanden. Er determiniert das Schicksal des Menschen und die<br />

nächsten Existenzen. Da das Leben vor allem Leiden bedeutet, muss ein Ausweg gesucht werden.<br />

Diese Befreiung aus der ewigen Kette der Wiedergeburt ist durch die Einsicht in die zugrunde liegende<br />

Kausalkette und durch die Einsicht in die Selbsttäuschung hinsichtlich eines überdauernden Ichs<br />

möglich: Vollständiges Erwachen und vollständiges Erlöschen. Der Weg aus diesem Prozess ist weder<br />

durch Selbstvernichtung noch durch Anhäufung guter Taten zu bewirken; entscheidend ist die Praxis,<br />

sich von diesem Leiden zu befreien. Die urbuddhistische Lehre enthält keine letzten Erklärungen,<br />

weshalb diese Kosmologie und die Kausalkette so sind wie sie sind.<br />

Es ist anzunehmen, dass der Buddha die indische Reinkarnationslehre von der Wiedergeburt des<br />

Menschen teilte. Da er grundsätzlich abstrakte philosophische Stellungnahmen vermied, ist nicht sicher<br />

zu sagen, wie zentral ihm diese Überzeugung war.<br />

Leiden und Angst (Dukkha)<br />

Leiden ist wahrscheinlich nicht das vorherrschende Lebensgefühl der großen Mehrzahl von Menschen,<br />

die in gesicherten Verhältnissen leben. Erst durch Kriegs- und Katastrophen-Ereignisse, bei schweren<br />

Krankheiten und angesichts des Todes wird sich die Einstellung ändern. Dukkha hat einen Doppelas-

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