Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
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189 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />
terfragung der Autoritäten und die Ideologiekritik zu nennen. Aufklärung ist nicht nur eine philosophische<br />
Aufgabe, sondern ein allgemeines und überdauerndes Ziel der fortschreitenden Bewusstwerdung<br />
der Menschen.<br />
Anfänge der Aufklärung<br />
Die griechische Philosophie hatte einen prägenden Einfluss auf das europäische Denken durch die<br />
vorsokratische Naturphilosophie und Skepsis, durch die Lehre der sog. Stoa und die Epikuräer neben<br />
der oft dominierenden Erinnerung an die Philosophie Platons und Aristoteles. Als mutige Aufklärer,<br />
die sich von Denkverboten und Traditionen befreiten, ragen unter diesen Naturphilosophen und Skeptiker<br />
hervor: Xenophanes (um 570-470 v.u.Z.) als ein Vorläufer der Religionskritik und Aufklärung,<br />
dann folgten Anaxagoras (499-428 v.u.Z.) und Protagoras (490-411 v.u.Z.), außerdem Gorgias, Kritias,<br />
Demokrit u.a. Diese Philosophen fragten erstmals systematisch nach den Grenzen der menschlichen<br />
Naturerkenntnis und konnten den absoluten Wahrheitsansprüchen der Religion nicht mehr folgen.<br />
Xenophanes stellte zwar die Existenz eines vollkommenen Göttlichen nicht in Frage, verspottete<br />
aber, dass die Menschen das Aussehen und die Eigenschaften der griechischen Götterwelt nach menschlichen<br />
Vorstellungen schufen. Der Mensch kann niemals sicheres Wissen gewinnen:<br />
„Wenn Kühe, Pferde oder Löwen Hände hätten und damit malen und Werke wie die Menschen schaffen<br />
könnten, dann würden die Pferde pferde-, die Kühe kuhähnliche Götterbilder malen und solche<br />
Gestalten schaffen, wie sie selber haben.“<br />
Protagoras lehrte, dass die Menschen die Freiheit haben müssen, Staat und Religion zu gestalten. Von<br />
ihm stammen die Sätze:<br />
„Der Mensch ist das Maß aller Dinge, der seienden, dass sie sind, und der nichtseienden, dass sie<br />
nicht sind.“<br />
„Von den Göttern vermag ich nicht zu erkennen, ob sie existieren oder nicht und wie sie gestaltet<br />
sind.“<br />
Gegen diese ersten großen Denker des Skeptizismus und Agnostizismus wurden von religiösen Fanatikern<br />
sowie philosophischen und politischen Gegnern Prozesse angestrengt wegen Gottlosigkeit,<br />
Feindschaft gegen die Religion oder gegen die Eleusischen Mysterien, wegen Atheismus und Verblendung<br />
der Jugend. Die Aufklärer fielen in Ungnade, ihre Schriften wurden vernichtet, sie wurden<br />
verbannt oder – wie in Europa auch zweitausend Jahre später nicht unüblich – zum Tode verurteilt.<br />
Anaxagoras und Protagoras konnten fliehen, der eigenständige Sokrates (469-399) wählte den Tod. 3<br />
Die Richtungen der Stoa (u.a. Zenon 336-264 v.u.Z.) und der Epikuräer (u.a. Epikur 341-270<br />
v.u.Z.) hatten einen größeren öffentlichen Einfluss. Sie sahen in der Welt ein göttliches Prinzip, in ihr<br />
walte der göttliche Logos, und in diesem ganzheitlichen Wirkungszusammenhang habe jeder Mensch<br />
seinen Platz zu begreifen. Dazu gehörte vor allem der moralisch richtige, individuelle Lebensweg, der<br />
entweder in Selbstbeherrschung und „stoischer“ Gelassenheit oder im genussvollen, glücklichen Leben<br />
verläuft. Der Mensch ist mit Vernunft begabt, so dass er am Logos teilhaben und sein sittliches<br />
Handeln durch Selbsterkenntnis steuern kann. Diese Vorstellungen von Kosmos und Mensch gelten<br />
bereits für alle Menschen, d.h. auch für Fremde und für Sklaven.<br />
In der heute verbreiteten Strömung des Skeptizismus ist der Zweifel das wegweisende Prinzip<br />
des Denkens: Nach dem Vorbild von Anaxagoras, Protagoras und Sokrates nicht jede Erkenntnismöglichkeit<br />
überhaupt zu bestreiten, sondern unerklärte Voraussetzungen, Grenzen der sinnlichen Wahrnehmung,<br />
übersinnliche Erklärungen kritisch zu prüfen.<br />
Der Weg der Aufklärung<br />
Die Aufklärung in Religionsdingen wird von Kant hervorgehoben, und er hat dabei zweifellos an Vorkommnisse<br />
seiner Zeit gedacht, Maßnahmen der Zensurbehörden gegen Professoren und Journalisten,<br />
Maßnahmen der kirchlichen Obrigkeit gegen abweichende Lehrmeinungen usw. Als später, in der Zeit<br />
der Restauration, nach den republikanischen und napoleonischen Kriegen, die in Ansätzen gewonnene<br />
Meinungsfreiheit und die Bürgerrechte erneut eingeschränkt wurden, sahen sich viele „Freidenker“