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Menschenbilder - Jochen Fahrenberg

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74 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />

Werkzeuge, Schmuck, Krankenpflege und Totenbestattung, und wahrscheinlich auch Sprache. Vielleicht<br />

sind ihnen sogar einige der frühen Kunstobjekte zuzuschreiben. Da Neandertaler und moderner<br />

Mensch in Europa mehrere Jahrtausende parallel lebten, stellen sich die Fragen, weshalb die Neandertaler<br />

vor ca. 30.000 Jahren ausgestorben sind: durch Gewalt, durch Seuchen oder durch andere Ursachen,<br />

und ob es untereinander fruchtbaren Nachwuchs gab. 10<br />

Die genetischen Untersuchungen sind noch nicht eindeutig ausgefallen. Die Forschungsgruppen<br />

u.a. von Svante Pääbo und Jean-Jacque Hublin in Leipzig oder von Edward Rubin in Kalifornien, arbeiten<br />

an dem sehr aufwendigen Vergleich des Genoms der heutigen Schimpansen und Menschen mit<br />

den aus Knochenfunden von Neandertalern extrahierten Proben. Sie hoffen, die wenigen Promille des<br />

typisch menschlichen Genmaterials zu bestimmen und schließlich die genetischen Grundlagen der<br />

Gehirn- und Intelligenzentwicklung zu erkennen. Tatsächlich gibt es die Hypothese, dass damals die<br />

bei der Abspaltung des neuzeitlichen Menschen hinzukommenden speziellen Gene (u.a. Microcephalin-Gen,<br />

FoxP2-Gen) die beschleunigte Hirnentwicklung verursacht haben. Parallel dazu muss ein<br />

langer und vielgliedriger Prozess abgelaufen sein, so dass die menschliche Kultur aus den bei heutigen<br />

Menschenaffen zu beobachtenden Fähigkeiten entstehenden konnte. Vielleicht wird dabei von manchen<br />

Autoren die Rolle der Sprachentwicklung überschätzt, statt das Zusammenspiel der verschiedensten,<br />

auch stumm zu vollziehenden Fähigkeiten zu sehen. Beispiele sind u.a. die Weitergabe technischer<br />

Erfindungen (Werkzeugherstellung, Feuerbereitung, Vorratshaltung) durch sprachfreies „Lernen<br />

am Modell“ und durch ein noch „unbenanntes“ begriffliches Denken (Mengenbegriffe, Zeitbegriffe,<br />

Kausalitätszusammenhang, Intentionen, Planung), die zunehmende Entwicklung des reflektierenden<br />

Bewusstseins aus den elementaren Formen des Erlebens und den Vorformen einer Ich-Identität.<br />

Die Sprache ist nicht die Quelle der menschlichen Intelligenz, sondern eher ein Produkt bzw. eine<br />

sehr nützliche Koevolution. In diesem Prozess entstand die semantisch und syntaktisch (grammatikalisch)<br />

strukturierte Sprache aus den einfachen Lautäußerungen (Vokalisationen) und hinweisenden<br />

Lautsignalen. Der heutige Mensch, der auch als Cro-Magnon-Mensch bezeichnet wird, verfügte wahrscheinlich<br />

schon vor 40.000 Jahren über die voll ausgebildeten biologischen Voraussetzungen der<br />

Sprache. Die Entwicklung der mit ihrem opponierenden Daumen für technische Leistungen vorzüglich<br />

geeigneten menschlichen Hand war vielleicht nicht viel weniger wichtig als die Evolution des menschlichen<br />

Stimmapparates und des Sprachkortex im Vergleich zum Schimpansen. Der bedeutende<br />

Volumenzuwachs des Neokortex in der letzten Stufe der Hominisierung scheint nur zum kleineren<br />

Teil mit Sprechen und Sprachverständnis zu tun zu haben.<br />

Eine herausragende Bedeutung neben Werkzeugherstellung und Bestattungsgebräuchen wird<br />

der Entstehung der Kunst eingeräumt. Die ältesten bisher bekannten geometrischen Ornamente stammen<br />

aus der Blombos-Höhle in Südafrika datiert auf 80.000 Jahre. Dagegen gehören die ältesten figürlichen<br />

Darstellungen in das Aurignacien, d.h. an das Ende der Altsteinzeit: der elfenbeinerne Löwenmensch<br />

und das Mammut aus der Vogelherd-Höhle sowie zwanzig andere Skulpturen sowie die Flöte<br />

aus einem Schwanenknochen (alle aus Höhlen der Schwäbischen Alb, ca. 30.000 bis 35.000 Jahre alt),<br />

die Venus von Dolni Vestonica (34.000) und von Willendorf (28.000), die über 400 Gemälde in der<br />

Chauvet-Höhle in der französischen Ardèche (32.000 bis 20.000). Zu den folgenden großen kulturellen<br />

Entwicklungsschritten gehören vor etwa 12.000 Jahren der älteste bisher bekannte Tempel-<br />

Großbau Göbekli an der Grenze der heutigen Länder Türkei und Syrien und die ersten größeren stadtähnlichen<br />

Siedlungen vor 6.000 Jahren in Mesopotamien. Die Steinsetzungen der verschiedenen Megalith-Kulturen<br />

in Palästina (vor ca. 11.000 Jahren), im Mittelmeerraum (vor 6.000 Jahren) und später<br />

auch in der westeuropäischen Jungsteinzeit und Bronzezeit hatten vermutlich kultische und astronomische<br />

Funktionen: in Frankreich vor allem in der Normandie und Bretagne (Carnac 6.500 bis 4.000<br />

Jahre), später in England (u.a. Stonehenge 6.400) sowie in Deutschland u.a. Regionen (6.000–4.000<br />

Jahre).<br />

Leben: Zufall, Schöpfung, Intelligentes Design ?<br />

Keine andere wissenschaftliche Theorie hat so sehr die Vorstellung vom Menschen geändert wie der<br />

Darwinismus. Deswegen sind die bis heute andauernden Kontroversen verständlich. 11<br />

Das Leben auf der Erde begann vor vielleicht 3,5 Milliarden Jahren, eindeutige Fossilien von<br />

Bakterien traten vor 1,9 Milliarden Jahren auf. Die Theorie der weiteren biologischen Evolution, eigentlich<br />

ein zusammenhängendes System von Bereichstheorien, ist heute weitgehend akzeptiert, ob-

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