Menschenbilder - Jochen Fahrenberg
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7 <strong>Menschenbilder</strong>: Psychologische, biologische, interkulturelle und religiöse Ansichten ( J. <strong>Fahrenberg</strong>, 2007)<br />
griffe Psychologie, Psychoanalyse, noch z.B. Persönlichkeit, Selbst und Selbsttheorien, Menschenbild,<br />
Aufklärung oder Menschenrechte enthält. Gelegentlich werden zwar aktuelle Themen der Neurobiologie,<br />
Genetik usw. aufgenommen, jedoch selektiv und ohne konsistentes Bezugssystem.<br />
Gegenwärtig wird oft von Historischer Anthropologie gesprochen, um eine Wende zu kennzeichnen.<br />
Die Philosophische Anthropologie der deutschen Tradition, soll mit der angelsächsischen<br />
Kulturanthropologie und mit der Reflexiven Anthropologie aus der französischen Kulturphilosophie<br />
kombiniert werden. 18 Die vorherrschenden Themen deuten durchaus „transdisziplinäre“ Bemühungen<br />
an, mögen vielleicht diese Zusammenschau z.T. auch erreichen, doch bleibt der Ansatz sehr fragwürdig:<br />
Die dominierende Sicht auf die Geschichtlichkeit des Menschen bzw. der Anthropologie und<br />
ihrer Themen, die Bevorzugung von philosophischer Reflexion und individueller Spekulation, ohne<br />
die moderne humanwissenschaftliche Forschung substantiell zu integrieren. Ob mit diesem geisteswissenschaftlich<br />
sehr belasteten Begriff der Historischen Anthropologie die offensichtlichen Defizite<br />
überwunden werden können, erscheint deswegen sehr fraglich. Als interdisziplinär ist diese Strömung<br />
kaum zu bezeichnen, denn es ist geradezu typisch, dass die Artikel der Sammelbände meist zusammenhanglos,<br />
unkommentiert und ohne Dialog hintereinander stehen.<br />
Die Gründe für diese Beschränkung sind sicher vielfältig: das traditionelle Selbstverständnis, was die<br />
Aufgabe der Philosophie sein müsse, die Traditionen des deutschen Idealismus und Historismus, das<br />
Festhalten an der Metaphysik der Seele oder an einem absoluten Geist, der starre Geist-Leben-<br />
Dualismus, die einseitige Hochschätzung der Geschichtsphilosophie und der „Mentalitätsgeschichte“,<br />
das Überlegenheitsgefühl geisteswissenschaftlicher und theologisch orientierter Wesensbestimmungen<br />
bzw. Interpretationen des Menschlichen.<br />
Ein markanter neuer Diskussionsbeitrag Anthropologie statt Metaphysik stammt von Ernst Tugendhat.<br />
Er knüpft wieder an Kant an und begründet aus heutiger Sicht, weshalb die Anthropologie im<br />
Zentrum der Philosophie steht. Was immer Metaphysik bedeuten kann, es reduziere sich auf Anthropologie.<br />
Aus Tugendhats Sicht sind alle metaphysischen Themen eigentlich Elemente des menschlichen<br />
Verstehens. Die philosophische Anthropologie als Grunddisziplin der Philosophie befasst sich<br />
mit diesem Kernbereich des Menschlichen, dem Verstehen, und fragt nach der Struktur dieses Verstehens.<br />
Was bleibt als Frage nach dem Sein des Menschen übrig, so fragt er, wenn alles Historische im<br />
Sinne des nur Traditionellen weggezogen würde? Tugendhat sieht die Anthropologie in einem Gegensatz<br />
sowohl zur Metaphysik als auch zur Orientierung am Geschichtlichen, am historisch Vorgegebenen,<br />
Traditionen, göttlicher Offenbarung usw.<br />
Zum Verhältnis philosophischer zu empirischer Anthropologie meint Tugendhat, dass beide verschiedene<br />
Schwerpunkte haben, sich jedoch aufeinander zubewegen müssen. Hier ist seine Sicht allerdings<br />
erstaunlich eng, denn er versteht empirische Anthropologie vor allem als Ethnologie.<br />
„Was man im Gegensatz zu dieser philosophische Anthropologie nennen kann, ist natürlich seinerseits<br />
empirisch, aber es geschieht nicht in 3. Person, man geht nicht von einer Beschreibung irgendwelcher<br />
Kulturen aus, sondern beginnt in der 1. Person Plural über die Strukturen des eigenen Seins und Verstehens<br />
nachzudenken, und in dem Maße, indem man andere Kulturen kennen lernt, geschieht dies<br />
weiterhin in 1. und 2. Person, d.h. man erweitert seinen eigenen Horizont. ... Der Schwerpunkt der<br />
philosophischen Anthropologie ist dadurch gekennzeichnet, daß sie in 1. Person geschieht und von<br />
einer Reflexion auf allgemeine Strukturen ausgeht, dadurch daß man in ihr von sich ausgeht, ergeben<br />
sich Einseitigkeiten, über die man sich durch die breiteren Kenntnisse der empirischen Anthropologie<br />
belehren lassen muss ...“ (Tugendhat, Anthropologie als „erste Philosophie, 2007) 19<br />
Der Kernbereich des Verstehens wird also sprachanalytisch strukturiert, indem unterschieden wird, auf<br />
wen sich bestimmte Aussagen beziehen. Diese Abgrenzung ist bei sprachanalytisch orientierten Philosophen<br />
sehr verbreitet, um die verschiedenen Bezugssysteme zu kennzeichnen, d.h. das subjektive<br />
Erleben und die Reflexion (1. Person) gegenüber der objektiven Beobachtung dritter Personen. Die<br />
heutige Methodenlehre und die Konzepte der empirischen Psychologie sind jedoch wesentlich differenzierter,<br />
u.a. wegen der Verschränkungen (Interaktionen) von Selbst- und Fremdwahrnehmung,<br />
wegen der Rolle der allgemeinen sozialen Stereotypien in der Selbstreflexion und wegen der konkurrierenden<br />
Kriterien der empirischen Bestätigung von Aussagen. Folglich bleibt hier die versuchte Ab-