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Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

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1963 Hans Mayer bleibt im Westen<br />

schiebt er sich selber, wer kann das wissen in dieser unberechenbaren<br />

Welt „höchster mathematischer Leistungen“). Kubin<br />

hat schon recht, überall grinsende Fratzen zu sehen, die sich<br />

freuen einem zu schaden. Ich seh auch solche Grimassen des<br />

Hohnes schneidende Teufel.<br />

13. September<br />

Dem Pf [arrer] Metzner hab ich eine Zusammenstellung über<br />

Kolbes Bildwerke in <strong>Waldheim</strong> zugestellt, damit er wisse, was<br />

er hier hat. Ich bedaure, nicht vor zwanzig Jahren eine Kopie<br />

des Kindes mit dem Vogel mir verschafft zu haben. Man hätte<br />

das damals sollen abgießen lassen, wenn es auch nur in Gips<br />

gewesen wäre. Das Leben ist eben eine Reihe verpaßter Gelegenheiten<br />

– in mehr als einem Sinne.<br />

17. September<br />

Einen Ausschnitt hab ich: „Schwerer Prestigeverlust für das<br />

akademische Leben in der Zone: Prof. Hans Mayer bleibt im<br />

Westen. Von einem Besuch in der Bundesrepublik kehrt er nicht<br />

mehr nach Leipzig zurück.“ Dazu ein vielleicht 25 Jahre zurückliegendes<br />

Bild. „Weil er keine Möglichkeit mehr sah, weiter<br />

zu amtieren. Alle Vorbereitungen, ihn ,abzuschießen‘ und den<br />

freien Kontakt mit seinen Studenten zu unterbinden, waren getroffen.“<br />

Was das nun konkret eigentlich heißt, müßte in Leipzig<br />

ermittelt werden. Denn unter diesen Zeitungsphrasen kann<br />

ich mir vieles oder auch nichts vorstellen. Das eine nur ist deutlich:<br />

ein Scheißverein ist das.<br />

18. September<br />

Hast Du was über Mayer gehört? Daß man ihn drüben mit<br />

großer Begeisterung aufnehmen wird, ist nicht wahrscheinlich.<br />

Er gilt als „Verfechter der marxistischen Theorie“, ist Jude und<br />

seit 1948, also seit 15 Jahren, hier. Sein Buch „Ansichten zur Li-<br />

teratur der Zeit“ habe ihm hier geschadet.<br />

20. September<br />

Ich bin gespannt, ob Du da etwas über den Universitäts-<br />

skandal um Mayer erfahren wirst. Viel kaum, denn das „Insti-<br />

tut für Deutsche Literaturgeschichte an der Karl-Marx-Universi-<br />

tät“ gab eine „Erklärung“ ab, in der gesagt wird, er habe „in<br />

all den Jahren seiner Tätigkeit alle Möglichkeiten gehabt, vor<br />

den Studenten und dem wissenschaftlichen Nachwuchs seine<br />

Meinungen zu äußern“. In dieser „Erklärung“ wird doch von<br />

den Lesern eine Glaubenskraft gefordert, die einen hohen Grad<br />

von Dummheit zur Vor<strong>aus</strong>setzung hat. Daß ein ganzes Insti-<br />

tut, doch wohl einstimmig, das annehmen kann – ich kann den<br />

Satz nicht beenden.<br />

23. September<br />

„Neue Literatur“ zu lesen wäre auch eine starke Zumutung;<br />

denn diese ist, mit einem <strong>aus</strong> der Mode gekommenen Worte<br />

gesagt, ein „Gebresten“, ist kein Naturgewächs, sondern eine<br />

Züchtung. Zudem wäre da doch nur das hier Erschienene der<br />

Gegenstand, es gibt aber noch eine deutsche Literatur in West-<br />

deutschland, Oesterreich, der Schweiz – die ist auch zu beach-<br />

ten, aber doch nicht zu bekommen. Und wenn der Professor sie<br />

<strong>aus</strong>nahmsweise bekäme, wäre es eine halbe Sache, wenn der<br />

Student sie nicht auch in der Hand hat. Und dann gibt es noch<br />

eine teilweise ungeschriebene oder ungedruckte ostzonale Li-<br />

teratur, die meist im Embryonalzustande abstirbt. Was wäre <strong>aus</strong><br />

dem „Werther“ geworden, hätte Goethe bei jedem Satze erst<br />

überlegen sollen, ob nicht irgendeine „Vorschrift“, die vor der<br />

Schrift besteht, verletzt würde – das Buch wäre ungeschrieben<br />

geblieben. Und so ist das heute. Wie viele Memoiren könnten<br />

geschrieben werden bei der Erlebensfülle, die in den letzten<br />

dreißig Jahren an uns verschwendet wurde – und wie wenige<br />

wagen, etwas Derartiges zu Papier zu bringen, oder sind er-<br />

schöpft und von der Zwecklosigkeit des Unternehmens so über-<br />

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