Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...
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1969<br />
min und erste Rosen; späte Pfingstrosen entfalten sich noch,<br />
Akazien blühen.<br />
1. Juli<br />
Gestern abend wurde Lübke in Bonn verabschiedet, wobei<br />
es 2500–3000 Gäste von Silberplatten zu bewirten galt und<br />
einige Flaschen Sekt zu leeren waren. Heute wurde der neue<br />
Bundespräsident Heinemann in Bonn vereidigt. Was müssen<br />
das für Räume sein in diesem Schlosse, um solche Mengen<br />
von Gästen „würdig“ aufzunehmen! Es waren 170 Kellner vor-<br />
gesehen, deren jeder also etwa 15 Gäste zu bedienen hat. (Und<br />
wenn dann ein Kellner einem Geizhals sagt: „Ich träumte, Ex-<br />
cellenz gaben mir zehn Mark Trinkgeld“, wird der Geizige erwi-<br />
dern: „Ein schöner Traum! Sie dürfen die zehn Mark behalten.“)<br />
Da hat also die Geschichte ein neues Blatt umgewendet! Wel-<br />
che Reihe von „Oberhäuptern“, die ich erlebt habe: Wilhelm I.<br />
– Friedrich – Wilhelm II. – Ebert – Hindenburg – Hitler – (Räder)<br />
– Heuss – Lübke – Heinemann und im Osten nach Hitler – Pi-<br />
eck – Ulbricht. Generalmusikdirektor eines Staates zu sein ist<br />
jedenfalls eine sehr schwere Aufgabe, weil dieser die zu diri-<br />
gierenden Partituren nicht vorher studieren kann, da sich diese<br />
stündlich neu komponieren, in neuen Tonarten, mit sich verän-<br />
dernden Instrumenten, stets wechselnden Musikanten.<br />
9. Juli<br />
Ich las ein sehr interessantes Buch, verfaßt von dem drit-<br />
ten Sohne des letzten sächsischen Königs, dem Prinzen Ernst<br />
Heinrich, „Mein Lebensweg vom Königsschloß zum Bauernhof“,<br />
1968 in München erschienen. Es ist das der letzte Bewohner<br />
des Schlosses Moritzburg, der Käthe Kollwitz <strong>aus</strong> dem zerbomb-<br />
ten Berlin nach Moritzburg holte, als man ihr ein Quartier neben<br />
einer V2 Waffenfabrik anwies, als sie <strong>aus</strong>gebombt war. Dresden<br />
wird sehr lebendig dargestellt, bis zum Untergang, den er dort<br />
noch erlebte. Die Nazis hatten ihn in ein KZ gebracht, ihn mit<br />
12 anderen bereits zum Erschießen an die Wand gestellt, als im<br />
letzten Augenblick der Schußbefehl zurückgezogen wurde, ähn-<br />
lich wie es Dostojewski in Petersburg erlebte. Nach unbemeß-<br />
baren Verlusten an Besitz – er war immerhin der Erbe der Wet-<br />
tiner, die 830 Jahre eine Fülle von Kunstschätzen gesammelt<br />
hatten. Nach 1947 hat er in einer weiten Einöde in Irland ein be-<br />
scheidenes H<strong>aus</strong> errichtet und lebt als Viehzüchter; Boden und<br />
Klima und Wirtschaftslage erschweren den Getreidebau, daß<br />
man dabei nichts gewinnen kann. Reuters Wort „zu sehen, was<br />
die menschliche Natur alles <strong>aus</strong>halten kann“ 16 trifft an diesem<br />
Schicksal sehr genau zu. Wer zur Teilnahme an einem mensch-<br />
lichen Schicksal befähigt ist, wird dieses Buch sehr hoch schät-<br />
zen und damit auch den Verfasser, der das erlebt hat, was er-<br />
zählt wird, und das in einer schlichten Form berichtet.<br />
260 261<br />
14. Juli<br />
Schönen Dank für den so anschaulichen „Reisebrief“ <strong>aus</strong><br />
dieser alten Stadt. Das gesuchte Gedicht ist wohl das von Her-<br />
mann Allmers, der ein Bauer war in Rechtenfleth bei Bremen<br />
und von 1821 bis 1902 lebte.<br />
„Feldeinsamkeit<br />
Ich ruhe still im hohen, grünen Gras<br />
Und sende lange meinen Blick nach oben,<br />
Von Grillen rings umschwirrt ohn’ Unterlaß,<br />
Von Himmelsbläue wundersam umwoben.<br />
Und schöne, weiße Wolken ziehn dahin<br />
Durch’s tiefe Blau, wie schöne stille Träume; –<br />
16 Frei nach Fritz Reuter, Ut mine Stromtid. Kapittel 8.<br />
Prinz Ernst Heinrich