Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...
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1974 Internationaler Versöhnungsbund<br />
21. Oktober<br />
In den Leistungen von Karl Foerster wurden noch einmal im<br />
abgelaufenen Jahrhundert Kräfte des klassischen Zeitalters ge-<br />
sammelt. Sein Vater, der Astronom der Berliner Sternwarte 6 war<br />
– in diesem Garten sammelten die Kinder ihre ersten Gartener-<br />
lebnisse – ist 1832 geboren, also im Nachklang der Goethezeit<br />
jung gewesen. So hat Karl Foerster – als Erholung vom bestan-<br />
denen Abitur – den ganzen Goethe durchgelesen; dann ging er<br />
– zum höchsten Erstaunen der Bekannten (<strong>aus</strong> dem gehobenen<br />
Bürgertum) – in die praktische Lehre als Gärtner, der Beruf, den<br />
er „von der Pike auf“ erlernen mußte. Und den hat er dann zu<br />
einer vorher nicht geahnten Höhe entwickelt. Erst fing er mit<br />
dem Garten an der Sternwarte an, der bald nicht mehr genügte<br />
– und dann bebaute er die große Anlage in Bornim bei Pots-<br />
dam, wo neue Sorten gezüchtet und entwickelt, fremde an das<br />
hiesige Klima gewöhnt, gekreuzt, gesteigert, <strong>aus</strong>gelesen wur-<br />
den. Erst als dieses ganze praktische Gartenwesen schon eine<br />
gewisse Höhe erreicht hatte, kam das Buch „Vom Blütengar-<br />
ten der Zukunft“ 1917 im „Furche-Verlag“ her<strong>aus</strong> und eroberte<br />
sich die Welt, nicht nur als „Bilderbuch“, sondern es regte an,<br />
solche Gärten zu bauen. Man darf sagen: Karl Foerster hat da-<br />
mals in Deutschland die ganze Steingarten- und Staudengar-<br />
tenpflege hervorgezaubert, die in vielen Städten und Ländern<br />
sich angesiedelt hat, bis der zweite Weltkrieg alles zerstörte.<br />
Ob der Sinn für dieses Pflanzenleben wieder einmal erwachen<br />
wird, läßt sich nicht vor<strong>aus</strong>sehen – vorläufig drohen andere<br />
Schwierigkeiten für die kommenden Jahrzehnte.<br />
An meinem Hibiscus bildet sich eine Knospe heran, ich bin<br />
gespannt, ob dieser südliche Strauch eine Blüte entfalten wird.<br />
Ich lasse ihn keinen Tag unbeachtet. Leider kann ich ihm keine<br />
Sonne spenden, die er gern haben möchte. Man sollte ein Bil-<br />
6 Wilhelm Foerster (1832–1921), seit 1865 Direktor der Berliner Sternwarte.<br />
derbuch von der Sonne herstellen, das könnte eine große Ar-<br />
beit werden, mit Dichtungen aller Zeiten, mit Mozart-Musik.<br />
4. November<br />
Schüler einer 10. Klasse erhielten einen Fragebogen mit 23<br />
Fragen zu „F<strong>aus</strong>t I“! Daß da bei dieser Durchleuchtung der Leh-<br />
rer mehr von den Kindern gefordert wird, als ihnen zuzumu-<br />
ten ist, wird den Fragestellern offenbar nicht klar. Außerdem<br />
werden nicht nur Wissenselemente geprüft, sondern persönli-<br />
che Auffassungen durchforscht. Mephistopheles scheint Unter-<br />
staatssekretär geworden zu sein.<br />
23. November<br />
Heute 20 Uhr ist der Helena-Akt im II. Teil von „F<strong>aus</strong>t“ den<br />
Hörern nahe zu bringen; das ist nicht so einfach, wie das schei-<br />
nen mag, denn inhaltlich wie der sprachlichen Form nach ist<br />
dies etwa der Himalaya der Weltliteratur, von dem im Laufe der<br />
letzten 150 Jahre nicht wenige abgestürzt sind. Da vergehen<br />
auf wenigen Seiten 3000 Jahre Weltgeschichte. Und eine Ah-<br />
nung von der Größe dieses Werkes muß doch mindestens ge-<br />
weckt werden. Goethe sagt einmal: „Das Beste, was wir von<br />
der Geschichte haben, ist der Enthusiasmus, den sie erregt.“ 7<br />
Das trifft hier besonders zu.<br />
26. November<br />
Schönen Dank für den eben erhaltenen Brief. Die anstren-<br />
gende Dolmetscherarbeit hab ich reichlich kennen gelernt in<br />
den Jahren 1920–1932! 8 In Montreux, in Sandwich, in Canter-<br />
bury, in Bilthoven (bei Utrecht in Holland), im Schwarzwalde in<br />
Königsfeld, in Steiermark. Man ist dabei angespannt auf jedes<br />
7 Maximen und Reflexionen (Hecker: 495).<br />
8 S. Chronik.<br />
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