Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...
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1964<br />
– nichts blieb; alles wurde samt meiner Schwester in der Dres-<br />
dener Bombennacht vernichtet. Hätte man … aber sie war nicht<br />
zu bewegen, Dresden vorher zu verlassen, weil alle Dresdener<br />
glaubten, sie wären vom Schicksal andrer Städte verschont.<br />
Das ist auch in den ersten Kriegsjahren auffällig gewesen. Aber<br />
zuletzt kam es gründlicher als an jedem andern Orte. Das war<br />
„Gottes unerforschlicher Ratschluß“, doch ein recht würdiger<br />
Gedanke.<br />
150 151<br />
1965<br />
7305 <strong>Waldheim</strong>/Sachs., den 13. Januar<br />
Der von Wiechert 1 geschilderte SS-Mann mag häufiger sein<br />
als man ahnt. Da sind die Leute in die Maschinerie des Nazis-<br />
mus hineingeraten, ein Rädchen in dem Verbrecherapparat ge-<br />
worden, das über Zusammenhang und Hintergrund der Untaten<br />
gar nicht dachte, sondern zwangsläufig „Befehle“ <strong>aus</strong>führte,<br />
weil das „Ausführen“ zum Wesen des Befehls gehört. Wie Ab-<br />
raham, der seinen Sohn auf Gottes Befehl zu opfern bereit ist,<br />
oder Kalchas die Iphigenie. Wer sich da nicht am Anfang wider-<br />
setzte, geriet unfehlbar in ein schreckliches Getriebe. Ich ver-<br />
gesse nicht, wie energisch sich mein Sohn Hans 2 gegen einen<br />
Dolmetscherdienst widersetzte, lieber die Front, die Sorge für<br />
das Pferd, das er hatte, die Mühe mit Abhören und Überset-<br />
zen von Radiosendungen für die Herren Offiziere auf sich nahm<br />
als die viel bequemere, aber gefährliche Dolmetscherei, die ihn<br />
zum Gehilfen von Kriegsgerichten gemacht hätte. Daß er so-<br />
1 Ernst Wiechert, Der Totenwald, München 1945.<br />
2 Nach einem Anglistik- und Romanistikstudium in Leipzig trat Hans <strong>Pfeifer</strong> 1932 der<br />
KPD bei. Weil er einen Artikel über den Reichstagsbrand im Daily Mail übersetzt<br />
und mit seiner Widerstandsgruppe verteilt hatte, war er von 1933–1935 im Zucht-<br />
h<strong>aus</strong> <strong>Waldheim</strong> inhaftiert. Den 2. Weltkrieg machte er an der Westfront in Frank-<br />
reich und von 1941–1943 als berittener Funker an der Ostfront mit. Bis 1947 war<br />
er in amerikanischer Kriegsgefangenschaft in Frankreich, wo ihn 1946 auf seine<br />
Bitte ein alter Bekannter seines Vaters <strong>aus</strong> dem Internationalen Versöhnungs-<br />
bund, der französische Pfarrer und Pazifist Henri Roser, besuchte.