Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

1967
sein, es wäre höchst verkehrt, alle in einen Topf zu werfen und
zu sagen: So sind die Leute im Westen! Durchaus nicht alle ha-
ben dies bescheidene geistige Format.
31. Juli
Heute besuchte mich Christian mit einem Theologiestuden-
ten aus Tübingen. „Fahr hin, Original, in deiner Pracht.“ 4 Auch
hier hat Goethe schon vor fast 200 Jahren Richtiges gesehen.
Der Junge, der den Berg des Lebens vor sich sieht, muß wohl
im Hinansteigen andre Gedanken haben als der Alte, der den
Gipfel überwand und Dinge rundum sah, die dem Knaben erst
noch bevorstehen. Daß auch innerhalb der mathematisch zu
bewältigenden, berechenbaren Wirklichkeit Kräfte wirken, die
sich jeder Berechnung entziehen, ist diesen Leuten erst noch
beizubringen. Das ist durch Belehrung kaum möglich, die Dä-
monen hausen offenbar unterhalb der Hirnrinde, auf der sich
der Intellekt angesiedelt hat. Der weiß oft nicht, daß seine
scheinbare Logik von den Dämonen gesteuert wird, die in ei-
ner anderen Dimension zu Hause sind. Der wird einen sonder-
baren Begriff von mir mitgenommen haben. […]
Interessant erschien an dem Studenten die Undankbarkeit
gegen Erhard, der in den Jahren nach dem Kriege das westliche
Wirtschaftswunder herbeigezaubert hat, aus einem besiegten,
schwer zerstörten Lande einen Wohlfahrtsstaat aufzubauen. Er
ist doch daran völlig unschuldig, daß z.B. durch die zuneh-
mende Verbreitung der Ölheizung – wobei vor allem die Ame-
rikaner ihr Öl billiger verkaufen als die aus großen Tiefen zu
holende Ruhrkohle angeboten werden kann – der Abbau von
Kohle verringert werden muß. So etwas ist ebenso unvermeid-
lich wie ein Erdbeben, ein Hochwasser, eine Wetterkatastrophe.
Selbst Leute, die sich als sogenannte „Akademiker“ etwas ein-
4 Faust II. Zweiter Akt. Hochgewölbtes enges gotisches Zimmer.
bilden, scheinen oft im Denken ungeübt und staunen, wenn
man ihnen Zusammenhänge zeigt, die sie nicht sahen.
1. August
Am Nachmittag kamen 15 Säcke Hartholzabschnitte durch
Frau Schlesier(-Rauschenbach). Nun müssen mal die Kohlen er-
ledigt werden, das Hauptübel des Jahres. Na, auch dieses wird
ertragen werden, wie manches andre Übel. Warum ich mir nicht
abends im Ratskeller eine Flasche einfülle?
3. August
Gestern abend gab es hier ein sehr blitzreiches Gewitter,
leider mit wenig Regen. Offenbar erhitzten die hunderte von
Blitzen die Luft oben so stark, daß die sich bildenden Regen-
tropfen rasch wieder verdampfen mußten, da ein Blitz so etwa
3000 Grad Hitze verschwendet. So ein Gewitter könnte man als
Stromrechnung überhaupt nicht bezahlen. Da kostet ein Blitz
etwa die Summe, die man in zwanzig Jahren an das Werk zu
zahlen hat für den häuslichen Stromverbrauch. So eine Ver-
schwendung erlaubt sich die Natur. Da jeden Tag im Jahre
schätzungsweise vierzigtausend Gewitter rund um den Erdball
sich abspielen, könnte man Milliardär werden, wenn man sie
nutzbar verkaufen könnte! Ganz abgesehen von den Beträgen,
die von den Feuerversicherungen gespart würden.
11. August
Was ein Blitz kostet
Alles ist so umständlich: Kartoffeln werden in einem Laden
am Niedermarkte ausgegeben; du mußt sie aber vorher in ei-
nem andern gegen Quittung bezahlen. Für dieses Wertpapier
bekommst du dann im eigentlichen Kartoffelladen die Knollen.
Brot im Konsum – Bäcker haben geschlossen – liegt in Cello-
phantüte da, diese wird an der Kasse abgezogen und zurück-
behalten. Am Postschalter ewiges Warten, weil die Briefmarken-
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