Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...
Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...
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1965 Bettelbrief wegen Vogelfutter<br />
deutschen gegründeten Wall auf von bedeutender Wirksam-<br />
keit – und sie lassen sich das auch noch recht reichlich bezah-<br />
len. Kein Mensch ist mir begegnet, der auch nur den leisesten<br />
Wunsch hätte, den Zustand seines augenblicklichen Daseins zu<br />
ändern. „Uns ist es nie so gut gegangen“ ist etwa die allge-<br />
meine Meinung. Sogar die Gewerkschaft der Postangestellten<br />
forderte auf ihrem Kongreß, die Post außer am Sonntage auch<br />
am Sonnabend in Ruhe zu lassen, also keine Briefzustellung an<br />
diesen beiden Tagen. Die Auspolsterung des äußeren Daseins<br />
kann kaum noch überboten werden. Daß man sich auch daran<br />
sehr rasch gewöhnen kann, merkte ich deutlich.<br />
13. Oktober<br />
Es sollen bis jetzt 600 000 Rentner drüben gewesen sein. Das<br />
bedeutet, daß die Bundesrepublik dafür mindestens 60 000 000<br />
= 60 Millionen bar <strong>aus</strong>gegeben hat, abgesehen von dem, was die<br />
Leute in dieser Zeit verzehrten und in ihrem Rückkehrergepäck<br />
her<strong>aus</strong>geschleppt haben. Das ist mindestens nochmal derselbe<br />
Betrag. Ob sich das auf die Dauer wird fortsetzen lassen, ist recht<br />
fraglich. Ich hab denen noch weit mehr Kosten auferlegt.<br />
Mich wundert, was mein Gehirn alles <strong>aus</strong>gehalten hat und<br />
noch <strong>aus</strong>halten muß.<br />
13. Oktober<br />
Abends ½ 11 h: Goethes Briefwechsel mit Carl August bringt<br />
mich wieder in eine mir gemäße Welt. Es ist nur zu beklagen,<br />
daß dieser wirkliche Fürst nicht ein Jahrhundert später das<br />
Deutsche Reich regierte. Da wäre der Welt sehr viel Unglück er-<br />
spart worden. Aber leider sind wohl in diesem Berufe die ech-<br />
ten Genies noch seltener als in anderen.<br />
1. November<br />
An Dr. Büttner schrieb ich eine versteckte Bemerkung Goe-<br />
thes: ein ungarischer Gelehrter hatte an den Jenaer Mineralo-<br />
gen Prof. Lenz für die Goetheschen Sammlungen bestimmte Mi-<br />
neralien einer Sendung an Fischer von <strong>Waldheim</strong> 11 beigepackt<br />
und nach Moskau geschickt, was Lenzen wegen der damit be-<br />
kundeten sehr mangelhaften geographischen Kenntnisse der<br />
Absender aufregte. Dieses nette Histörchen schrieb ich an Bütt-<br />
ner, der sich dafür herzlich bedankt. („Sie haben mir damit eine<br />
sehr große Freude bereitet. Ich kannte die betr. Erwähnung Fi-<br />
schers v. <strong>Waldheim</strong> noch nicht, so daß ich Ihren Brief gern zu<br />
meinem übrigen Fischer-Materialien füge.“) Du siehst, mit wie<br />
wenigem man einem Menschen einen Spaß machen kann.<br />
Man sollte solche Gelegenheiten öfter beachten, es ist so<br />
etwas wie Öl im Betrieb des menschlichen Verkehrs.<br />
22. November<br />
Meine Vögel picken sich <strong>aus</strong> dem sogenannten „Vogelfut-<br />
ter“ das ihnen Gemäße <strong>aus</strong>. Übrigens hab ich in dieser Sache<br />
einen Bettelbrief nach dem Westen geschrieben, der erste in<br />
zwanzig Jahren. Aber für die Vögel darf man das wohl tun.<br />
Merkwürdig: es gibt Bilderbücher über viele Länder der<br />
Erde – nur nicht über Westdeutschland.<br />
23. November<br />
Dieses Jahr 1965 ist wirklich ein unglückliches und sehr an-<br />
strengendes Stück Leben gewesen; hoffen wir nur, daß sich<br />
11 Der Arzt und Naturforscher Johann Gotthelf Fischer von <strong>Waldheim</strong> (1771–1853),<br />
Prof. für Naturgeschichte in Mainz, wurde 1804 an die Moskauer Universität be-<br />
rufen, er hatte großen Anteil an der naturgeschichtlichen Erforschung Rußlands<br />
auf den Gebieten Geologie, Mineralogie, Paläontologie und Entomologie, vgl. Jo-<br />
hannes W. E. Büttner, Fischer von <strong>Waldheim</strong> [= Freiberger Forschungshefte. Reihe<br />
D 15], Berlin 1956.<br />
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