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Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

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1971 Schicksale des 20. Jahrhunderts<br />

Am 3.3. war Gustav Kröpp gestorben, nachdem er mehrere<br />

Jahre sehr pflegebedürftig gewesen war. Durch welche Nöte hat<br />

dieser Mann sich durchkämpfen müssen. Erst ohne alle Mit-<br />

tel buchstäblich durch ein Psychologie- und Philosophiestu-<br />

dium gehungert, summa cum laude promoviert, dann ein paar<br />

gute Jahre, so von 1929–1933 in <strong>Waldheim</strong>, 1933 von den Na-<br />

zis ohne einen Pfennig auf die Straße gesetzt, erneut Medizin<br />

in Bonn studiert, dabei gearbeitet u. gehungert, beste Prüfung,<br />

Dr. med., dann eine Praxis in Löhne langsam aufgebaut, kurz<br />

darauf Militärarzt, schwere Zeiten in Rußland, dort lange in Ge-<br />

fangenschaft, während die Frau die Praxis mit Vertretern bewäl-<br />

tigt, endlich Anfang der fünfziger Jahre Heimkehr, einige Jahre<br />

gute Arbeit, Schlaganfall, lange Behinderung, Wiederaufnahme<br />

der Praxis, schließlich genötigt, sie aufzugeben, im Rollstuhl<br />

noch so zwei Jahre – und dann mit 70 Jahren das Ende.<br />

Daß die Frau, die das alles durchgestanden hat, z.B. noch<br />

während Dr. Kröpp nach 45 in russischer Gefangenschaft war,<br />

erlebte sie die Beschlagnahme von Wohnung und Praxis durch<br />

die englische Besatzung, schnellstens für beide ein anderes<br />

Unterkommen suchen, umziehen, Apparaturen neu montieren,<br />

dann nach ein paar Jahren dasselbe zurück, Kröpp noch in<br />

Rußland, drei Kinder dazu, wenn auch die große bereits Stu-<br />

dent war, jetzt Dr. jur. Daß sie dann in dem Eintrag in dem his-<br />

torischen Buche ein magisches Zeichen zu sehen glaubt – wer<br />

kann sich darüber wundern? Ein Wunder eher, daß der Verstand<br />

nicht völlig still stehen bleibt und ein so geplagter Mensch nur<br />

in Erwartung neuer Schicksalsschläge weiter lebt.<br />

7. April<br />

Gestern tadelte Rechtsanwalt Hermann, daß ich Eichhörn-<br />

chen füttere: sie „rauben Eier <strong>aus</strong> Vogelnestern“ und müßten<br />

vernichtet werden. Als ich dann in meiner Stube darüber nach-<br />

dachte, fiel mir Schopenhauers Feststellung ein, daß das Emo-<br />

tionale (Gefühl und Wille) an erster Stelle stehe und erst nach-<br />

träglich die Laterne des Verstandes angezündet werde. Und so<br />

brachte ich sie denn zum Leuchten: jedes der drei Tiere, die zu<br />

mir kommen, verweilt fast eine Stunde täglich am Futterplatze,<br />

das sind also drei Stunden, in denen keine Nester von ihnen<br />

geplündert werden und zweitens gewöhne ich sie an eine ve-<br />

getarische Lebensweise. Das besagt also, daß ich mit der Füt-<br />

terung auch indirekt Vogelschutz betreibe. Na – wie steh ich<br />

da! Außerdem: wäre das Plündern der Nester so häufig, müßte<br />

man öfters auf dem Friedhofe Eierschalen liegen sehen. Das<br />

kommt jedoch recht selten vor. Ich glaube nicht, daß die Eich-<br />

hörnchen die Schalen verschlingen, wie jener Appenzeller, der<br />

fraß den Kas mitsamt dem Teller. 6<br />

302 303<br />

13. April<br />

Hier ist eine Neroslow 7 -Ausstellung seiner Bilder. Dazu war<br />

am Sonntag eine Feier, an der die zweite Frau von ihm und ei-<br />

nige der „Funktionäre“ von 1945 (üble Gestalten!) <strong>aus</strong> Berlin da<br />

waren. Ich war auch eingeladen – und vermißt worden, wie mir<br />

*** gestern sagte, hab aber die Einladung erst heute gefunden.<br />

Ich hatte sie übersehen. Das war gut so.<br />

15. April<br />

Heute sah ich mir die Bilder von Neroslow an, die in dem<br />

„Volkskunstkabinett“ <strong>aus</strong>gestellt sind. Es handelt sich um etwa<br />

35 Werke, meist Aquarelle, einige Ölbilder. In der Hauptsache<br />

stammen die Motive <strong>aus</strong> der Landschaft, überwiegend Bilder<br />

vom Tauwetter, einige Blumenstücke, einige Portraits, zwei Stil-<br />

leben, eine <strong>aus</strong>gezeichnete Copie eines Bildes (Portrait <strong>aus</strong><br />

dem Biedermeier), ein Bild mit blühenden Obstbäumen. Das<br />

Bild der Dir bekannten Frau Neroslow wirkt sehr fremdartig,<br />

6 S. Brief vom 17. Dezember 1970.<br />

7 S. Brief vom 8. Februar 1969.

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