Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...
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1975 Buchbinden<br />
mitte führe, statt mehr rechts zu lenken. Märzensonne schien,<br />
es war ein stilles Dorf. Memmendorf bei Öderan. Als er <strong>aus</strong>ge-<br />
grunzt hatte, rannte ein vierjähriges Dorfkind von rechts her<br />
über die Straße, und ich brauchte dem Prüfer nur zu antwor-<br />
ten: „Darum!“ Erstaunt fragte er zurück, woher ich das vor-<br />
her habe wissen können. „Aus meiner Kenntnis der Kinder!“<br />
Daß in einem besonnten H<strong>aus</strong>winkel in dieser Jahreszeit Kinder<br />
spielen, die beim Wahrnehmen eines Geräusches neugierig die<br />
Straße überqueren, mußte ich dem Manne erst klar machen. Da<br />
schwieg er und erklärte die Prüfung für bestanden, ließ mich<br />
aber noch an den tollsten Verkehrsknoten von Chemnitz fah-<br />
ren. Na, das war deshalb nicht schwer, weil man da nur die<br />
Ampeln zu beachten hatte. Über das „Darum!“ freue ich mich<br />
stets, wenn ich mich an jene Sache erinnere. Vor 40 Jahren gab<br />
es in England keine Autofahrer-Prüfung. Zu einer Konferenz in<br />
Canterbury kam eine mir von früher her bekannte 65 Jahre alte<br />
Dame in einem englischen Auto angerollt. Ich sagte: „Na nu,<br />
Miss Stevenson 8 , haben Sie noch eine Autoprüfung abgelegt?“<br />
Antwort: „Wieso? Hier fährt man – ist aber für jeden Schaden<br />
voll verantwortlich; das ersetzt jede Prüfung!“<br />
8. November Montag<br />
Gestern Sonntag: Mittags die Tochter von Franke über En-<br />
ergetik und die erste Synthese einer organischen Verbindung<br />
durch Wöhler 1828, dann bei Dr. Toepel über aktuelle Pro-<br />
bleme, abends mit Gottfried über Plutarch. So ein Rentner ist<br />
sehr beschäftigt, ohne eigentlich etwas zu tun.<br />
8 Zu der Begegnung mit Lilian Stevenson, Mitglied des Internationalen Versöhnungs-<br />
bundes, kam es 1928 beim Internationalen Jugendlager des Bundes in Sandwich<br />
bei Canterbury, vgl. auch: Lilian Stevenson, Zehn Jahre internationaler Friedensar-<br />
beit. Die Geschichte des Internationalen Versöhnungsbundes, Vorwort von Fried-<br />
rich Siegmund-Schultze, Wien 1929.<br />
10. November (Geburtstag v. Schiller u. Luther)<br />
Nötige Buchbinderarbeiten müssen erledigt werden: das<br />
Namenverzeichnis zu meinem großen Atlas, das Musiklexicon<br />
von Riemann zeigen zu starke Gebrauchsspuren, und beide<br />
Bücher sind große Wälzer. Ich staune darüber, wie liederlich<br />
doch solche starken Anstrengungen <strong>aus</strong>gesetzte Bücher in den<br />
Buchhandel gebracht worden sind. Ich hab einige Sachen, die<br />
250 Jahre alt sind und viel sorgfältiger von den alten Handwer-<br />
kern gebunden worden sind. Oder dachten diese Leute von<br />
1900 bis heute nur an Bücher, die dauernd in Bücherschränken<br />
stehen u. mal des Abstaubens wegen her<strong>aus</strong> kommen? Wahr-<br />
scheinlich dachten sie überhaupt nicht und sparten am fal-<br />
schen Ort. Selbst das „Wörterbuch der obersächsischen Mund-<br />
arten“ mußte kuriert werden, es kam 1914 her<strong>aus</strong>. Denk ich an<br />
die heutigen „Taschenbücher“, die gelumbeckt 9 sind, denke ich<br />
ihrer mit Groll. Keins kann man richtig aufschlagen, stets lie-<br />
gen die Seiten gekrümmt; das hat mühsames Lesen zur Folge,<br />
weil das Auge sich der Krümmung der Seiten wegen auf jeder<br />
Zeile mehrmals an die verschiedenen Entfernungen anpassen<br />
muß, ganz abgesehen davon, daß sie leicht <strong>aus</strong>einanderbre-<br />
chen können, weil sie nicht geheftet, sondern nur am Rücken<br />
geleimt sind, weshalb sie nicht eben liegen. Dieser unange-<br />
brachte Geiz mißfällt mir sehr. Wie dauerhaft ist da mein al-<br />
ter Plutarch und der alte Montaigne. Der „Fortschritt“ der Ma-<br />
schineneinbände ist höchst fragwürdig. Ganz zu schweigen<br />
von den Heftungen mit Drahtklammern, die durchrosten und<br />
an den Heftstellen Rostflecken hinterlassen. Man sollte ein-<br />
mal alte und neue Arbeiten zu einer Ausstellung versammeln.<br />
„Nischt wie Unannämlichkeeten!“<br />
9 Verfahren der Klebebindung, benannt nach dem Erfinder Emil Lumbeck (1886–<br />
372 373<br />
1979).