Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...
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1965<br />
andern doch recht schwer. Es ist also Essig mit dem Totalitä-<br />
ren. In der griechischen Demokratie ist das bereits vorgespielt,<br />
Aristides mußte ins Exil (und viele andre), Sokrates wurde ver-<br />
giftet. Es gab die berühmten Asebieprocesse, Anklage wegen<br />
Beleidigung der Staatgötter. Das war gefährlicher als Mord und<br />
Diebstahl und Unterschlagung. Der „Reinigungsprozeß“ mit der<br />
Verbannung half stets nur für kurze Zeit, weil eben – siehe die<br />
berühmte Dialektik –, der „Widerspruch“ schon mit dem „Spru-<br />
che“ neu geboren wird. Mancher scheint seinen eigenen Ge-<br />
dankenhandwerkskasten noch nicht richtig zu verstehen.<br />
11. Februar<br />
In Kriebethal ist gerade an der Kreuzung von Straße und<br />
Eisenbahn eine Maschine mit Wagen <strong>aus</strong> der vereisten Eisen-<br />
bahnschiene gesprungen und sperrt die Straße; es wurden He-<br />
bemaschinen <strong>aus</strong> Chemnitz erwartet. Ist doch alles möglich:<br />
Mit vereinten Kräften werfen Billionen von zierlichen Schnee-<br />
kristallen so einen Koloss auf die Seite und wehren ihm die<br />
Weiterfahrt. Wor<strong>aus</strong> wir lernen könnten, Tyrannen zu stürzen.<br />
11. Februar<br />
In den „Geschichten von 1001 Nacht“ sieht man in eine<br />
ständige Bedrohung des Lebens: Räuber lauern, Mörder, Ver-<br />
gifter, Untiere, Drachen, Löwen, Schlangen, Krankheiten, Lau-<br />
nen der Despoten, die den Scharfrichter Masrûr, den „Träger<br />
des Schwertes“, stets tatbereit mit sich führen, Kriege brechen<br />
los <strong>aus</strong> heitrem Himmel – und man begrüßt einander mit „Sa-<br />
lem“, „Friede sei mit euch“, „er bot den Friedensgruß“: das<br />
heißt also: das Gegenteil des Wirklichen wird als Begrüßungs-<br />
wunsch herbeigerufen. Das ist etwa wie „Freundschaft“ in ei-<br />
ner atomisierten Gesellschaft, in der keiner dem andern traut,<br />
weil es von Spitzeln, Spionen, Mißtrauenden nur so wimmelt.<br />
Der größte Unheilstifter der Geschichte ließ sich mit „Heil“ be-<br />
grüßen. Freilich, es war höchst nötig, dies zu wünschen – aber<br />
ganz ohne Wirkung blieb der Gruß.<br />
20. Februar<br />
Von dem Hamburger Schulkameraden bekam ich ¼ Kaf-<br />
fee; das ist ganz gut vermindert die Ausgaben und ist von bes-<br />
serer Beschaffenheit. Kaffee ist sozusagen eine Währungsein-<br />
heit, wie früher der Priem im Zuchth<strong>aus</strong>e, bei dem es sogar<br />
steigenden und fallenden Kurs gab; denn gegen Ende des Mo-<br />
nats stand sein Wert am höchsten bei der innerbetrieblichen<br />
Kaupelei. Der Bedarf wuchs, das Angebot sank – und dadurch<br />
stieg der Preis, der in Speck gezahlt wurde. Wie in der soge-<br />
nannten „freien Wirtschaft“.<br />
24. Februar<br />
Wer über den naiven Glauben der alten Araber lächelt, daß<br />
Zauberer einen in einen Vogel oder in einen Maulesel verwan-<br />
delten, der bedenke, daß das heute täglich geschieht, wo die<br />
einen in Lastkamele, andre in Spürhunde, wieder welche in<br />
stacheltragende Wespen, jene in sinnlos durcheinander wim-<br />
melnde Ameisen verzaubert werden.<br />
154 155<br />
9. März<br />
Daß Westbesucher alles ohne Anstehen bekommen – schön<br />
– aber daß sie vielerlei zu spottbilligen Preisen erhalten, wie<br />
ich von einem Messebesucher [der Leipziger Messe] hörte, das<br />
ist sehr übel. Wahrscheinlich sind es eben „Gastgeschenke“,<br />
die zum Wiederkommen locken sollen. […]<br />
Geschichten <strong>aus</strong> 1001 Nacht<br />
Es wäre eine recht nötige Aufgabe, eine „Geschichte der<br />
Zensur“ zu schreiben, die bis in die gegenwärtige Praxis<br />
reichte. Dabei dürfte sich her<strong>aus</strong>stellen, daß selbst der päpst-<br />
liche „Index librorum prohibitorum“ [Verzeichnis der verbote-<br />
nen Bücher] toleranter war als die derzeitigen Zensoren. Wenn