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Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

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1962<br />

Wenn früher hier und da ein armer Tropf hinter dem Katheder<br />

stand, wurde er mit verbraucht – heute sind andre gar nicht<br />

möglich. Die Dürftigkeit im Geist ist systematisiert, wird über-<br />

wacht. Gewiß, es kostet kein Schulgeld, ist aber auch keinen<br />

Pfennig wert, raubt den Schülern nur die Zeit. Der alles erfas-<br />

sende „Fortschritt“ hat auch der Verdummung einen bedeuten-<br />

den Auftrieb gegeben. – Aber, man soll sich nicht ärgern. […]<br />

Nun, sehen wir, nehmen wir auf, regen uns so wenig auf<br />

als irgend möglich ist. Schade um jeden Tropfen Energie, den<br />

man an die Überwindung negativer Erlebnisse vergeudet. Wir<br />

werden besser tun, für positive zu sorgen. Das sollte man von<br />

Goethe gelernt haben. Bleiben wir also vornehm. Trotz der Zeit<br />

der Pöbelherrschaft. Auch dazu wäre einiges zu sagen, das vom<br />

Papiere nicht ertragen wird.<br />

31. Dezember<br />

Eben entdecke ich, daß heute der letzte Tag des Jahres<br />

1962 ist und daß ich Dir einen Neujahrswunsch zu schreiben<br />

habe. Das tue ich aber jeden Tag des Jahres. Also kann diese<br />

Zähleinrichtung des Kalenders nichts Besonderes sein. Das ist<br />

uns in unserer Kinderzeit beigebracht worden. Da mußten wir<br />

in den letzten Vorweihnachtstagen einen „Neujahrswunsch“<br />

schön geschrieben in einen besonderen Bogen schreiben, für<br />

den der Lehrer einen Fünfer oder einen Groschen kassierte –<br />

zum Besten von Lehrerswitwen und -waisen. Die Bogen ver-<br />

trieb der Pestalozzi-Verein 18 . Der Lehrer schrieb da ein zwei Sei-<br />

18 In den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts innerhalb des Allgemeinen Sächsischen<br />

Lehrervereins auf Anregung des Pädagogischen Vereins zu Dresden als Wohltä-<br />

tigkeitsverein für Lehrer gegründet. Ging es anfangs um die Lehrerwaisenversor-<br />

gung und die Versorgung mit Lesestoffen und Formularen, so kam 1866 die Leh-<br />

rerwitwenversorgung hinzu. Die Einnahmen setzten sich <strong>aus</strong> Mitgliedsbeiträgen,<br />

Schenkungen, Konzerteinnahmen, Verlosungen, verlagsbuchhändlerischen Unter-<br />

nehmungen (Jugendschriften, Klassenlesestoffe, Schulzeitungen, -kalender, Lan-<br />

ten langes Gedicht an die Wandtafel, verfaßt von einem poe-<br />

tisierenden Schulmeister. Das mußte sauber und fehlerlos<br />

abgeschrieben, <strong>aus</strong>wendig gelernt und bei Überreichung des<br />

Schriftstückes vorgetragen werden. Oft pflegte dabei etwas zu<br />

passieren: ein Klecks, die Feder spritzte (es war eine neue!),<br />

einer drehte sich um, verschob das Löschblatt – <strong>aus</strong>gewischte<br />

Schrift: „Der hat mir eine Zeile <strong>aus</strong>gewischt.“ Da fing die Plage<br />

von vorn an, und man schrieb den Kram noch einmal, immer<br />

in der Erwartung, daß zuletzt noch was schief gehe. So eine<br />

unsinnige Plage. Aber sie wurde pädagogisch begründet. Ich<br />

sehe diese mit Gold und Blau vorn geschmückten Kostbarkei-<br />

ten noch vor mir.<br />

deslehrerbücher) und seit 1888 <strong>aus</strong> Steuermitteln zusammen, vgl. Julius Richter,<br />

Geschichte der Sächsischen Volksschule, Berlin 1930, S. 602f.<br />

Pestalozzi-Verein<br />

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