Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...
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1973 „An die Freude“ – 1918<br />
H<strong>aus</strong> schneit, jagt mich von einer Sache zur andern. Letzte Wo-<br />
che türmten sich Goethe-Bände um mich, seine Bemerkungen<br />
über Nürnberg zusammenzufassen, das ergab etwa 10 solche<br />
eng beschriebenen Seiten vom Format dieses Briefbogens und<br />
Einsichten zu dem Thema „Goethe als Reisender“. Gewiß, ich<br />
könnte derartige Wünsche weniger <strong>aus</strong>führlich erfüllen; dabei<br />
ergäbe sich dann ein ungutes Gefühl gegenüber dem Fragen-<br />
den – wie gegenüber Goethe. Nur in dem Falle Neroslow ent-<br />
schloß ich mich zur Ablehnung. Der Arzt wird von Goethes „For-<br />
derung des Tages“ weit dringlicher in die Zange genommen.<br />
7. März<br />
Gestern wurde mir mitgeteilt, daß ich ab 1. April meinen<br />
Garten aufzugeben habe, da dort gebaut werden solle. Wer<br />
dahinter steht, weiß ich nicht. Ich habe in diesen Tagen einen<br />
„Schätzer“ <strong>aus</strong> Döbeln zu erwarten, der die eventuell zu zah-<br />
lende „Entschädigung“ für vorhandene Bäume, Laube u.s.w.<br />
feststellen werde. So sieht die „Menschlichkeit“ im Alltag also<br />
<strong>aus</strong>. Nun weiß ich nicht, ob ich zu Deinem Geburtstage nach<br />
Leipzig kommen kann, da der Zeitpunkt der Schätzung noch<br />
nicht bekannt ist. Seit 61 Jahren hatte ich das Land in Pacht.<br />
Kaufen darf man es auch nicht, da der Boden hierzulande dem<br />
Staate gehört; die H<strong>aus</strong>besitzer besitzen nur noch das H<strong>aus</strong>.<br />
Ein altes „Vorkaufsrecht“ gilt nicht mehr. So wird man nach und<br />
nach abspaziert.<br />
15. März<br />
Dr. Mohrs Geburtstag. Eine Amaryllis entwickelt einen Blü-<br />
tenschaft, der noch in der Knospe steht und in diesem Zu-<br />
stande so anmutige Kurven zeigt, daß ich gleich meinen Aqua-<br />
rellblock nahm, um dieses Bild farbig festzuhalten; denn er<br />
verändert sich doch mit jeder Minute ferneren Wachstums. Die<br />
Blattgröße (des Zeichenblockes) reichte gerade, diesen schö-<br />
nen Trieb in Lebensgröße zu malen. Und ich muß froh sein, das<br />
noch zu können. Man muß sich nur entschließen, Farben, Pin-<br />
sel und Wasser zusammenzuholen. Schönes wächst da so still<br />
vor sich hin, das für längere Zeit zu bewahren durch<strong>aus</strong> mög-<br />
lich ist. Jetzt gefällt mir das Bild sogar selber.<br />
342 343<br />
16. März<br />
Wechselnde Wolken ziehen vorüber, ab und zu ein Strahl<br />
Sonnenschein.<br />
Gestern abend war Beethovens „IX. Sinfonie“ zu hören.<br />
Im Jahre 1918 hörte ich sie in Dresden in der Hauptprobe des<br />
Palmsonntagskonzertes; beim Verlassen des Opernh<strong>aus</strong>es er-<br />
schallte der Ruf der Extrablattverkäufer in den <strong>aus</strong> Luftschutz-<br />
gründen finsteren Straßen: „Paris unter deutschem Feuer!“ Das<br />
war ein starker Gegensatz zu dem eben gehörten Liede an die<br />
Freude! An diesem Abende wurde zum ersten Male bei Paris<br />
das neue „weittragende“ Geschütz auf Paris abgefeuert. Irrsinn<br />
scheint der Sinn der Geschichte zu sein.<br />
16. März<br />
Franz Schubert „Messe G-Dur“ wird jetzt geboten, nach-<br />
dem ein „Stabat mater“ von Vivaldi verklang. Gute Musik bleibt<br />
noch immer das Beste.<br />
Heute blühte die größte der Amaryllisknospen auf. Da er-<br />
scheinen herrliche Formen, die nun bereits viele Jahrt<strong>aus</strong>ende,<br />
vielleicht Zehnt<strong>aus</strong>ende von Jahren den Gewächsen eingeboren<br />
sind. Das ist eine tröstliche Erkenntnis.<br />
27. April<br />
Man sah in der Antike in Kristallen und Mineralen geheim-<br />
nisvolle Kräfte, die zu Göttern und Menschen Beziehungen ha-<br />
ben (z.B. Amethyst bewahre vor „Trunkenheit“!) So war dem<br />
wendigen Götterboten Merkur – „Gott des Handels und der