Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...
Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...
Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
1973<br />
Diebe“, der Flügel an den Füßen trug – das Quecksilber zu-<br />
geordnet, wohl infolge seiner raschen Beweglichkeit; Blei galt<br />
dem alten Saturn. Mir ist das seit Kindertagen geläufig: bei der<br />
Zubereitung des Goldes für die Porzellanmalerei – ich hatte<br />
das Gold oft zu reiben – wurde etwas „Merkur“ beigemischt.<br />
Mein Vater, der das Zauberwerk selber vollendete, nannte das<br />
Quecksilber immer „Merkur“. Aus Gold wurde ein kleiner Krater<br />
auf einer starken Glasplatte – auf der es gerieben wurde – er-<br />
richtet und in den Krater ein kleiner Tropfen Quecksilber (Mer-<br />
kur) gegeben, der dann mit dem Golde verrieben wurde. Der<br />
Krater hielt das eilige Quecksilber, da Gold schwerer ist (spe-<br />
zif. Gewicht 19,3, Quecksilber 13,6). Damit das Quecksilber, der<br />
Merkur also, nicht auf der Platte davoneile, war die Goldkra-<br />
tersperre nötig. Der Merkurtropfen wäre nur auf einer vollkom-<br />
men ebenen Platte liegen geblieben. Daß Dein Tisch etwa völ-<br />
lig eben sei – das glaubst Du – stimmt nicht. Solche vollkom-<br />
mene „Ebene“ herzustellen ist sehr schwer oder das Geschenk<br />
eines seltenen Zufalles.<br />
30. April<br />
Während der Nazizeit hat Th. Mann – vom sicheren Port<br />
<strong>aus</strong>, erst <strong>aus</strong> Küßnacht in der Schweiz, dann von Amerika <strong>aus</strong><br />
– sich deutlich gegen die vernehmen lassen, die ihn seines Be-<br />
sitzes in München und Nidden beraubten und ihm den „Ehren-<br />
doktor“ absprachen. Aber seine politischen Sünden beging er<br />
bei Beginn des ersten Weltkrieges 1914, dann in den „Betrach-<br />
tungen eines Unpolitischen“ etwa 1917. Es sind doch 1914 ne-<br />
ben Hauptmann und Mann sehr viele „Prominente“ der natio-<br />
nalen Suggestion zum Opfer gefallen, nur H. Hesse nicht, der in<br />
seinem offenen Aufruf „O Freunde, nicht diese Töne!“ 6 bereits<br />
1914 sich klar <strong>aus</strong>sprach.<br />
6 In: Neue Zürcher Zeitung vom 3. November 1914.<br />
344 345<br />
3. Mai<br />
Gestern konnte man die Rede von H. Böll hören, die er in<br />
Stockholm pflichtgemäß als „Empfänger des Nobelpreises für<br />
Literatur“ zu halten hatte, eine Rede, die bewies, daß auch<br />
dieses Komitee etwas auf den Hund gekommen ist. Wenn<br />
es nichts Besseres gibt als die kunstgewerbliche Wortbaste-<br />
lei des H. Böll, dann soll man den Preis solange aufheben, bis<br />
irgendwo wieder ein echter Dichter auftaucht, was durch<strong>aus</strong><br />
möglich ist. Man kann nur den König von Schweden beklagen,<br />
der dem Preisträger wohl noch für den <strong>aus</strong>gebreiteten Kram<br />
danken mußte. Nun ja, es wird vieles „<strong>aus</strong>gebreitet“.<br />
4. Mai<br />
Mit dem dicken Wälzer über Rolland und den Krieg 7 bin ich<br />
ganz schön voran gekommen. Dabei wird vieles <strong>aus</strong> jener Zeit<br />
wieder erinnert, <strong>aus</strong> dem ersten Weltkrieg zunächst, da man<br />
noch nicht ahnen konnte, daß dies erst das Vor spiel späterer<br />
Ereignisse war und man glaubte, am Ende, also 1918/1919 solle<br />
eine „neue“ Zeit beginnen! Wie völlig anders entwickelte sich<br />
diese Geschichte; mancher, der da mit „gestaltete“, dürfte sich<br />
wohl später selber gefragt haben, wie er eigentlich dazu kam,<br />
sich für ein wahnsinniges Unternehmen ins Zeug zu legen. Oder<br />
haben diese Leute das vergessen? Ihre SA-Uniformen, die Mär-<br />
sche und Fahrten nach Nürnberg zum „Parteitage“, nach Ber-<br />
chtesgaden?<br />
24. Mai<br />
„O Freunde, nicht diese Töne!“<br />
Den dicken Wälzer <strong>aus</strong> Paris über Romain Rolland (716 Sei-<br />
ten!) las ich zu Ende, ohne eine Zeile zu überspringen. Das<br />
Buch ist außerordentlich wichtig, da es über den ersten Welt-<br />
krieg, über die von allen Seiten – besonders von den Franzo-<br />
7 René Cheval, Romain Rolland, l’Allemagne et la guerre, Paris 1963.