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Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

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1968 Prag, Prag...!<br />

Memoiren 15 lesen, in denen er seine Heldentaten berichtet. Ge-<br />

fühl für das Unerhörte seiner Morde besaß er so wenig wie die<br />

KZ-Ganoven in Auschwitz oder Buchenwald. Daß man als Zeit-<br />

genosse solcher Bestien dahinzuleben hatte, ist das Schreck-<br />

liche der eigenen Existenz – ohne irgendetwas verhindern zu<br />

können, erlebte man die bisher wohl größten Verbrechen der<br />

Geschichte, die weit über das hin<strong>aus</strong>gingen, was die „großen<br />

Helden“ der Vergangenheit verübt hatten.<br />

30. Oktober<br />

Die Darstellung bei Hochhuth ist erschütternd. Denke aber<br />

niemand, daß die Judenmorde von Auschwitz etwas Neues ge-<br />

wesen sind. Um 1600 wurden unter Philipp III. von Spanien<br />

800 000 Moriskos – Mischlinge von Arabern, Negern, Juden –<br />

vertrieben oder umgebracht. Das läßt sich mit den Schand-<br />

taten Hitlers durch<strong>aus</strong> vergleichen, besonders wenn man be-<br />

denkt, daß die Bevölkerungsanzahl damals nur einen Bruchteil<br />

der heutigen bedeutet. Auch Spanien hat damals an seinem ei-<br />

genen Ruin gearbeitet und sich für Jahrhunderte wirtschaftlich<br />

schwer geschädigt.<br />

1. November<br />

Als ich gestern abend an H[errn] Morgenstern meinen Zent-<br />

ner Kartoffeln bezahlte, wurde da gerade „ferngesehen“, und<br />

ich gewann einen Eindruck von der geistigen Anspruchslosig-<br />

keit derer, die mit so etwas sich „die Zeit vertreiben“. Über<br />

die Leute, die vor 80 Jahren einander die Romane von Mar-<br />

litt, Heimburg, Ganghofer, Rosegger vorlasen <strong>aus</strong> der berühm-<br />

ten „Gartenlaube“ oder <strong>aus</strong> dem „Daheim“ oder „Velhagen<br />

und Klasings Monatsheften“, wird heute ganz mit Unrecht ge-<br />

lächelt. Die Fernsehfilme sind weit primitiver als jene Romane.<br />

15 Winston Churchill, Der zweite Weltkrieg, 6 Bde., Stuttgart, Hamburg 1949–1954.<br />

Wenn man in einem Stadtteil in einen Wald von Fernsehanten-<br />

nen gerät, kann man mit Sicherheit schließen, durch die Wohn-<br />

gebiete der Primitiven zu wandern. Aus einem Gewirr von ra-<br />

senden Autos, Barscenen, quäkender Musik, streng blickenden<br />

Verbrechern, Pistolenschüssen, nackten Weibern wird ein Mo-<br />

saikbild zusammengebastelt ohne Sinn und Verstand, nur um<br />

die Leute zu benebeln, Gespräche zu verhindern, Denken <strong>aus</strong>-<br />

zulöschen. Alle sind zu beneiden, die diesen „Kulturfortschritt“<br />

nicht mehr erlebten. Wie die bedeutende Erfindung der Schrift<br />

in der Herstellung der Schundliteratur entwürdigt wurde, so<br />

geht es hier mit der Möglichkeit, durch die Photographie Bil-<br />

der festzuhalten.<br />

5. November<br />

Es wurde erzählt, die Krähen wurden alle umgebracht, weil<br />

sie immer Prag, Prag rufen.<br />

7. November<br />

So, das wäre vorüber: 4 Eimer und 4 Aschekästen voll Ruß<br />

und Asche sind eben <strong>aus</strong> meinem Ofen geholt worden. Ich bin<br />

froh, daß das endlich geschafft wurde. Erst zahlt man für Holz<br />

und Kohlen und dann wieder für das Wegschaffen der Reste.<br />

Der 19jährige Sohn des Ofenkehrers wird „Prediger“ auf einer<br />

„Missionsschule“ einer Sekte – was es nicht alles gibt! Der wird<br />

dann die Seelen <strong>aus</strong>rußen. […]<br />

Ein neu erschienenes Wilhelm-Busch-Buch 16 <strong>aus</strong> dem Ver-<br />

lage Rütten und Loening ist entbehrlich. Am Anfange stehen<br />

zehn Seiten unnötigen Senfes; dann folgen einige Gedichte;<br />

der „Heilige Antonius von Padua“, „Balduin Bählamm“ und<br />

„Eduards Traum“ – 8,70 Mark – das kann man sich sparen. Ver-<br />

16 Kurzes Referat über die kurzen Würste des Herrn Lang, hrsg. von Rudolf Mingau<br />

und Rolf Lorenz, Berlin 1968.<br />

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