Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...
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1961 Der „dünne Wasserfaden der Hauptsache“<br />
ter Hartsch 17 , vom Lord Chesterfield – einem Nachkommen des<br />
berühmten Schriftstellers <strong>aus</strong> dem 18. Jahrhundert, von Hans<br />
Grundig, dem Dresdener Maler, und so weiter. Dr. Schumann<br />
sitzt da in einem Kreise mit unendlich vielen Radien.<br />
13. Juli<br />
Sobald es hier dunkelt, muß ich den Pinsel weglegen, da<br />
gibt es dann vielerlei Interessantes zu lesen. Ich las z.B. den<br />
ersten Teil einer Autobiographie von Curt Goetz 18 (der den<br />
„Hiob Prätorius“, „Die tote Tante“ = „H<strong>aus</strong> in Montevideo“<br />
schrieb), sah das bereits erwähnte Buch vom Alten Dresden 19<br />
durch, worin ich meine Mutter entdeckte, ein Buch 20 über die<br />
Sächsische Schweiz von 1837 mit schönen Stahlstichen, las ei-<br />
niges in der Autobiographie von Victor de Kowa 21 (dem <strong>aus</strong> Fil-<br />
men bekannten Sch<strong>aus</strong>pieler). Das ist ein recht bedeutendes<br />
Buch, bei Glock und Lutz in Nürnberg erschienen. Ich werde<br />
versuchen, es zu beschaffen, hörte viele Berichte von Dr. Schu-<br />
mann, befestigte meine Abneigung gegen das Radio.<br />
17 Erwin Hartsch (1890–1948), Volksschullehrer in Mylau/Vogtland, später Lehrer am<br />
Wettiner Gymnasium in Dresden, SPD-Mitglied, 1926–1932 Landtagsabgeordneter,<br />
1932–1933 Reichstagsabgeordneter, 1933 <strong>aus</strong> dem Schuldienst entlassen, 1933–<br />
1934 KZ, danach in der Verlagsbuchhandlung Koehler & Volckmar und in der Le-<br />
bensversicherung Leipzig tätig. 1946–1948 Minister für Volksbildung in Sachsen.<br />
Als dieser wollte er, daß Kurt Schumann die reformorientierte Dürerschule in Dres-<br />
den neu gründete, doch Schumann lehnte ab, er wollte Zschopau nicht verlassen.<br />
– Vgl. Wilhelm Heinz Schröder, Sozialdemokratische Parlamentarier in den deut-<br />
schen Reichs- und Landtagen 1867–1933, Düsseldorf 1995, S. 489.<br />
18 Die Memoiren des Peterhans von Binningen, Berlin 1960.<br />
19 S. <strong>Briefe</strong> vom 23. Dezember 1964, 18. Dezember 1968, 4. Januar 1969.<br />
20 Johann Sporschil, Leipzig, Meissen, Dresden und die sächsische Schweiz, Leip-<br />
zig 1844.<br />
21 Als ich noch Prinz war von Arkadien, Nürnberg 1955.<br />
<strong>Waldheim</strong>, den 26. Juli<br />
Frau Schmidt 22 schickte mir einige Cigarren und einen Brief<br />
mit dem Denkmal Hermanns des Cheruskers – ein 7m langes<br />
Schwert hebt er – auf dem Teutoburger Wald. Das ist dersel-<br />
bige, der im Jahre 9 p. n. Chr. das Vordringen der römischen<br />
Kultur nach Osten aufgehalten und damit vielleicht schon die<br />
Grundlinien des gegenwärtigen Zustandes gezogen hat. Das<br />
findest Du in keinem Geschichtsbuche bemerkt. Prof. Friedr.<br />
Wilhelm Foerster 23 – der Bruder des Gärtners [Karl Foerster] –<br />
dem ich dies einmal mitteilte, fand diese Deutung sehr gut und<br />
treffend. Es ist doch auch praktisch so gewesen. Aber niemand<br />
will es so sehen – weil dadurch der Ruhm des Cheruskers emp-<br />
findlich geschmälert wird.<br />
64 65<br />
27. Juli<br />
Mit den Lehrern ist es doch etwa so: die echten vermögen,<br />
das Wunderbare, das Welt und Natur geben, erleben zu las-<br />
sen; die andern – denen das ganz versagt ist – bemühen sich,<br />
das zu „erklären“. Das gelingt nur mehr oder weniger, meist<br />
weniger. Am Fehlen des Erlebens scheitert die Schule. Sie gibt<br />
eben den schon von Stifter gerügten „dünnen Wasserfaden der<br />
Hauptsache“ 24 . Mag sein, daß uns manches an dieser „Haupt-<br />
sache“ entgeht. Aber wir haben eben andre Hauptsachen. Und<br />
Mozart und Beethoven und Goethe hatten auch andre.<br />
22 Margarete Schmidt in Salzuflen war die H<strong>aus</strong>hälterin des angesehenen <strong>Waldheim</strong>er<br />
Arztes Adolf Mohr (1871–1966), der 60 Jahre in <strong>Waldheim</strong> praktizierte (vgl. Johan-<br />
nes W. E. Büttner, Die medizinische Versorgung der Stadt <strong>Waldheim</strong> (Sachsen) im<br />
18. und 19. Jahrhundert, <strong>Waldheim</strong> 1972). Adolf Mohr war bis zu seiner Übersied-<br />
lung in die Bundesrepublik <strong>Arthur</strong> <strong>Pfeifer</strong>s H<strong>aus</strong>arzt.<br />
23 Mit den Brüdern Foerster fühlte sich <strong>Arthur</strong> <strong>Pfeifer</strong> zeitlebens verbunden. Die Be-<br />
kanntschaft mit dem christlichen Ethiker und streitbaren Pazifisten Friedrich Wil-<br />
helm Foerster (1869–1966) war einer der Anklagepunkte bei <strong>Pfeifer</strong>s Entlassung<br />
<strong>aus</strong> dem Schuldienst 1933 durch die Nationalsozialisten.<br />
24 Aus der Erzählung Der Waldsteig.