Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...
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1963 Gewi-Unwesen<br />
9. November<br />
Die Frage „Bleiben die Türen so?“ ist eine Kritik an der Fa-<br />
brikation des von allen Malern verachteten schlechten Lackes,<br />
den die DDR produziert und verkauft. Freilich, ich hätte sol-<br />
chen Lack <strong>aus</strong> dem Westen kommen lassen, der dann mögli-<br />
cherweise <strong>aus</strong> Glaubensgründen abgelehnt würde. Ein Anstrich<br />
in der Farbe der Primitiven – Knallrot – kann jederzeit erfolgen.<br />
So ein Westlack fließt wie beste Sahne, während die hiesige<br />
Brühe mit dem Rückstand von Magermilch zu vergleichen ist.<br />
Gläubige sehen das freilich nicht. Aber die Versendung des La-<br />
ckes macht Schwierigkeiten. Wird das Paket geöffnet, ist er ver-<br />
loren, denn die Versendung von Blechbüchsen ist verboten. Ich<br />
hätte den auch lieber verarbeitet. […]<br />
Hier stand gestern eine Schlange nach Bananen. Ich konnte<br />
mich nicht entschließen, mich da anzureihen: die Dinger wa-<br />
ren mir zu klein, kaum halb so groß wie die in London normal<br />
verkauften. Da die Schale stets um so größer ist, je kleiner das<br />
Gebilde, das sie umschließt, ging ich weiter, so gern ich Euch<br />
ein paar solche Dinger geschickt hätte. Das Motto, das in den<br />
zwanziger Jahren den Vertrieb des „Rheinischen Apfelkrautes“<br />
begleitete – „Das deutsche Schwein frißt alles“ – ist offenbar<br />
noch heute im „Welthandel“ oder da es sich um eine Hälfte<br />
handelt, im „Halbwelthandel“ gültig.<br />
11. November<br />
Das ist doch herrlich, wie der Gewi-Dozent „droht“, daß<br />
sich so etwas nicht würdelos vorkommt! „Wir haben Mittel!“<br />
das hab ich schon früher und heute mehrfach gehört, drohend:<br />
„Wir haben Mittel! Wir haben noch andere Mittel!“ Jawohl, ihr<br />
Scheißer – aber ihr habt keinen Zweck. Macht die Funktionäre<br />
zu Hundekuchen. Sollten diese Leute nicht mal darüber nach-<br />
denken, wie sie ihre Anziehungskraft entwickeln? So etwas<br />
wirkt aber immer nur abstoßend. Und dann wird mit der Macht<br />
gedroht – und diese ließe sich vielleicht mit Mut zerschlagen.<br />
Meine Amaryllisknospe ist seit gestern 1 cm gewachsen. –<br />
Der Czerny 19 ist eingebunden, die Armseligkeit, daß ein Papp-<br />
deckel <strong>aus</strong> mehreren dünnen Zeichenblockunterlagen in der<br />
Fläche verleimt ist wie Sperrholz, ist durch ein munteres Papier<br />
verhüllt. Nicht mal anständige Pappe gibt es hier zu kaufen,<br />
weil die paar Lumpen statt wie früher zu Pappe wieder zu Lap-<br />
pen für das putzsüchtige Weibsvolk verarbeitet werden. Und<br />
unsereins kann in den Mond gucken. […]<br />
Ich werde heute mittag 14 h 22 die Eltern vom Bus abholen<br />
und nach Kriebethal verstauen. Aber keine Zeile hab ich über<br />
Deinen gesundheitlichen Zustand, der das einzig Wichtige ist.<br />
Was geht mich sonst die Zeitgeschichte an, das Gewi-Unwesen,<br />
die nationalen Tröpfe?<br />
15. November<br />
Gespannt bin ich, wie wohl morgen die Pünktlichkeit der<br />
Züge beschaffen sein wird, nachdem mir heute ein mir bekann-<br />
ter Billettverkäufer versicherte, es sei besser damit geworden –<br />
alles wegen des einen 1945 geraubten Schienenstranges. Dazu<br />
pflegen Genossen mit den Achseln zu zucken, zu schweigen<br />
oder zu sagen, man müsse das im Zusammenhange sehen – ja-<br />
wohl im Zusammenhange der Verknechtung.<br />
Dafür ist ein Blick in die erleuchteten Schaufenster sehr er-<br />
holsam; man freut sich über die Fülle der Dinge, die man nicht<br />
braucht. Wer braucht etwa so etwas wie eine „Schreibmappe“<br />
<strong>aus</strong> gepresstem Kunstleder, unförmig, für 20 M? Und der Kitsch<br />
<strong>aus</strong> Porzellan, Glas, Keramik. Ist denn überhaupt wer, der das<br />
Zeug „braucht“? Ich hab nun 80 Jahre lang allerhand geschrie-<br />
ben – und nie eine Schreibmappe gebraucht. Das ist offenbar<br />
für Leute, die nicht schreiben.<br />
19 Carl Czerny, Die Schule der Geläufigkeit, Wien 1834.<br />
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