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Arthur Pfeifer Briefe aus Waldheim 1960–1976 - Freundeskreis ...

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1971 „Das gehört sich so“<br />

kann! Inzwischen ist sie 32 Jahre geworden und hat drei Jungen.<br />

Wie die Zeit vergangen ist! Freilich, die Erde soll Milliarden<br />

Jahre hinter sich haben, bis sie zu dem geworden ist, was<br />

wir heute erleben. Und welcher Wandel der Gestalten! Wenn es<br />

auch keine Saurier mehr gibt, so ist doch Anlaß genug, anzunehmen,<br />

daß sie nur ihre Teufelsfratzen gewandelt, von ihrer<br />

furchtbaren Bosheit, die <strong>aus</strong> ihren Gesichtern spricht, nicht das<br />

geringste verloren haben. Die Masken wandeln sich, nicht die<br />

Wesen. […] Richard III. hat kaum von seiner Tücke „gewußt“ –<br />

er hat sie genossen. Das Schlimmste bleibt, daß er unsterblich<br />

ist und uns täglich wieder begegnen kann.<br />

6. Februar<br />

Eben haben die Mondfahrer 2 ihre Mondstiefel und andere<br />

nicht mehr nötigen Dinge <strong>aus</strong> ihrer Kapsel geworfen und so<br />

als erstes Denkmal einen Schutthaufen, eins der Denkmäler<br />

der Gegenwart, angelegt. Und was hätten Antiquitätenhändler<br />

für diese Sachen gezahlt, mit denen der erste Mensch auf dem<br />

Monde herumspazierte. Diese Leute scheinen wenig Sinn für<br />

den Wert des Geldes zu haben. Versteigere man heute mal einen<br />

Nagel von der Arche Noahs, eine Armspange der Salome,<br />

einen Ziegel vom Tempel Salomos, das Echo einer Rede Ciceros<br />

auf dem römischen Forum, eine Kartoffelschale von dem Haufen,<br />

von dem der verlorene Sohn seinen Hunger stillte. Hätten<br />

die Mondfahrer einen Stempel mitgenommen, damit oben die<br />

ersten Briefmarken für Sammler abzustempeln – welch ein Geschäft<br />

könnte das werden! Das sind „verpaßte Gelegenheiten“!<br />

13. Februar<br />

Tag der Zerstörung von Dresden. Wann die kapitolinische<br />

Rede 3 von Bertha von Suttner gehalten wurde, muß ich noch<br />

2 Edgar Mitchell, Stuart Roosa und Alan Shepard (Besatzung von Apollo 14)<br />

3 Gemeint ist die Rede Bertha von Suttners (1843–1914) anläßlich des 3. Weltfriedens-<br />

kongresses 1891 auf dem Kapitol in Rom.<br />

ermitteln. Daß sie sich nicht von allen ererbten und erlernten<br />

Beschränktheiten ihrer Stellung befreien konnte, ist doch zu<br />

verstehen. Ihr Leute von heute habt von den Zwängen jener<br />

Zeit nicht den Schatten einer Ahnung. Ich erinnere mich noch<br />

des Skandals, der in den neunziger Jahren des vorigen Jahr-<br />

hunderts durch die Welt und durch die Zeitungen ging, von je-<br />

der Eierfrau mit Entsetzen besprochen wurde, als in Paris die<br />

Sch<strong>aus</strong>pielerin Sarah Bernhardt auf der Bühne in langen Her-<br />

renhosen aufgetreten war. Man glaubte, den Weltuntergang<br />

kommen zu sehen (vielleicht sah man sogar richtig). Nicht daß<br />

die Hosen ihn herbeigeführt hätten – sie waren nur ein Zei-<br />

chen einer fortschreitenden Auflösung jahrhundertealter Ord-<br />

nungen, von deren verpflichtender Strenge heute niemand eine<br />

Vorstellung hat. Daß auch eine so tapfere Frau wie B. v. Sutt-<br />

ner nicht von solchen Beschränkungen frei war, gar nicht frei<br />

sein konnte, versteht sich doch, da die damaligen „Ordnungs-<br />

gefüge“ von Ewigkeit zu Ewigkeit unerschütterlich zu gelten<br />

schienen und sich die meisten gar nicht darüber klar waren,<br />

daß da etwas geändert werden könne. Damals fuhr noch kein<br />

Auto, die erste elektrische Straßenbahn sah ich bauen, es gab<br />

weder Flugzeug, noch Kino oder gar Radio oder Fernsehen. Das<br />

waren bestenfalls Märchen, Themen von Zukunftsromanen, an<br />

deren Verwirklichung kein Mensch glaubte, selbst die Verfasser<br />

nicht. Von vielen uns heute sonderbar scheinenden Haltungen<br />

hieß es: „Das gehört sich so.“ Ich erinnere mich noch an Beleh-<br />

rungen, in denen mir meine Großmutter beibrachte, was „sich<br />

gehörte“. Hast Du jemals sagen müssen zu einem hohen Be-<br />

amten von Adel: „Alleruntertänigst Guten Tag, gnädiger Herr“?<br />

Nicht? Nun ich erlebte das mit zehn Jahren an mir selber.<br />

298 299<br />

2. März<br />

Heute früh kam das Eichhörnchen an das offene Fenster, ich<br />

hätte es fangen können, so nahe waren wir uns, guckte mich

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